Nach Halle: Schaue nach vorn, meine Schwester, mein Bruder

“Wenn ihr nicht glaubt, kommt ihr nicht ins Paradies und ihr glaubt nicht, solange ihr euch nicht gegenseitig liebt”, lautet ein Ausspruch, ein Hadis des Propheten. Es ist ein Aufruf zu mehr Empathie und Zuneigung unter den Gläubigen. Ein Aufruf der in der Forderung nach Nächstenliebe soweit geht, die Existenz des Glaubens an Allah an das Vorhandensein dieser Liebe zu verknüpfen. Auch wenn der Wortlaut des Hadises diesen auf die Beziehung zwischen den Gläubigen zu beschränken scheint, bin ich mir sicher, dass der Sinn dahinter weit über die Glaubensgrenze hinausgeht und eine grundsätzliche menschliche Eigenschaft formuliert.

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Gottes Barmherzigkeit dem Barmherzigen

Kann der Mensch gut sein, wenn er nur an sich denkt, nur an das eigene Fortkommen, an den eigenen Wohlstand? Kann in der reinen Beschäftigung mit sich selbst das Seligmachende liegen, wenn dabei das Leid um einen herum ignoriert wird? Kann der Mensch aufrichtig fromm sein, wenn die Auswirkungen dieser “Frömmigkeit” sich nur auf ihn selbst beschränkt?

Im Koran finden wir eine sehr eindringliche Beschreibung dessen, was Frömmigkeit für einen Muslim bedeuten sollte:

“Die Frömmigkeit besteht nicht darin,
dass ihr euer Angesicht gen Osten oder Westen wendet,
vielmehr ist Frömmigkeit,
an Gott zu glauben und an den Jüngsten Tag,
und an die Engel, an das Buch und die Propheten;
und das Geld, auch wenn man es liebt,
für die Verwandten, die Waisen und die Armen auszugeben
und für den “Sohn des Weges” und für die Bittenden und für den Sklavenfreikauf;
und das Gebet zu verrichten und die Armensteuer zu entrichten.
Die den Vertrag einhalten, wenn sie ihn abgeschlossen haben,
und die geduldig sind in Not und Missgeschick und Kriegszeit –
die sind es, die wahrhaftig sind,
die sind es, die Gott fürchten.” (2:177)

Der Vers liefert eine Blaupause für den Muslim, für den gütigen, gottesfürchtigen Menschen. Die Beschreibung beschränkt sich dabei nicht nur auf spirituelle, geistige Aspekte, sie ist vielmehr eine ganzheitliche Darstellung dessen, was den Menschen auf den Pfad der Frömmigkeit führt.

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Den eigenen Neid erkennen

“Da trieb ihn seine Seele, seinen Bruder zu töten.
Und er tötete ihn.
So wurde er zu einem der Verlierer.” (Maida, 30)

Dieser Vers, er ist so schwer, so traurig und tragisch. Ein kurzer Vers, der viel Leid in sich birgt. Er lässt uns in einen Abgrund blicken, in den wir eigentlich nie blicken wollen. Wie böse kann denn unsere Seele werden, dass sie uns gar zum Mord an einem der uns Nächsten treiben kann?

Der Vers stammt aus der Schilderung des Gleichnisses von Kain und Abel im Koran, oder wie sie in der islamischen Tradition genannt werden, Habil und Qabil. Das Gleichnis gehört zu den gemeinsamen Themen von Koran und Talmud. Und selbst die Sumerer haben in einem sehr alten Mythos um ihren Bauerngott Enkimdu und ihren Jagdgott Dumuzi ein ähnliches Thema der brüderlichen Auseinandersetzung vor Tausenden von Jahren aufgegriffen. Das Gleichnis, die Mahnung die in ihm steckt, scheint so alt und so tiefgründig wie die Menschheit selbst zu sein.

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Der Ramadan ist Gottesnähe

Ruhig ist es, wie an einem warmen Sommerabend auf einer weiten Wiese. Ein leichter Lufthauch umströmt uns, fern aller Hektik und Sorge. So in etwa fühlt sich für viele Muslime der erste Abend des Fastens im Ramadan und viele weitere Abende dieses besonderen Monats an. Diese Minuten vor dem Fastenbrechen, wenn man sich mit seinen Liebsten an den Tisch setzt, aber die Aufmerksamkeit nicht dem Essen gilt, sie fühlen sich besonders intensiv an. Es mag verwundern, dass zu diesem Zeitpunkt nicht der Hunger die treibende Kraft ist. Vielmehr scheint die Seele die Kontrolle über das Fleischliche des Menschen wieder zurückzugewinnen. In diesen letzten Minuten ist dem Fasten eine besondere Ruhe inne.

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#Christchurch

Zum Freitagsgebet zu gehen, das hat für uns etwas von Frieden und Sicherheit. Wir treten ein in diesen Raum und schauen nach vorn. Höchstens zur Suche eines guten Freundes, eines anderen freundlichen Gesichts geht der Blick zurück zur Tür. Wir schauen nach vorn.

Manche lauschen der Predigt, andere sind in stiller Kontemplation in sich versunken. Die Ruhe ist es, die viele von uns anspricht, der Frieden, der Segen, der mit dem Frieden eng umschlungen kommt. Wir sitzen auf Teppichen, auf Steinböden, auf provisorischen Bet-Teppichen, und wir schauen nach vorn.

Ihm gedenken wir, seiner Gnade, seiner Liebe für uns, und wie wenig dieser Liebe wir ihm zurückgeben können. Das Freitagsgebet gehört zu den Zeiten, in der wir die Gegenseitigkeit am intensivsten spüren. Nebeneinander sitzen wir, schenken Almosen in Form von Lächeln nach links und rechts und wir schauen nach vorn.

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“Stolziere nicht eitel auf der Erde herum”

Es gibt Haltungen, Emotionen, die sind mindestens so alt wie die Schöpfung des Menschen. Vertrauen ist solch eine Emotion. Das Vertrauen Allahs gegenüber dem Menschen. Trotz aller Zweifel der Engeln gegenüber der Schöpfung des Menschen, ihrem Verweis auf seine Neigung zu Verderben und Blut vergießen, spricht der Schöpfer dem Menschen sein Vertrauen aus:

“Und als dein Herr zu den Engeln sprach: »Siehe, Ich will auf der Erde für Mich einen Sachwalter einsetzen«, da sagten sie: »Willst Du auf ihr einen einsetzen, der auf ihr Verderben anrichtet und Blut vergießt? Wir verkünden doch Dein Lob und rühmen Dich.« Er sprach: »Siehe, Ich weiß, was ihr nicht wisst.«” (2:30)

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… nicht mehr Wert als der Nichtaraber

Nächstes Jahr wird es 70 Jahre her sein, seitdem in Deutschland die Verfassung, das Grundgesetz, mit den Worten “Die Würde des Menschen ist unantastbar” entworfen worden ist. Nur vier Jahre davor wurde Deutschland von Unmenschlichkeit und Barbarei regiert. Würde, Menschlichkeit, alles konnte angetastet,verletzt, missachtet werden. Menschen sollten jeweils unterschiedlich Wert sein, je nach religiösem oder ethnischen Hintergrund wurde über ihre Zukunft, über Leben und Tod entschieden. Die Nationalsozialisten waren neben anderem auch durch und durch Rassisten. Unterschiede zwischen Menschen wurden überhöht, wo es sie eigentlich nicht gab. Sie wurden künstlich geschaffen.

Doch mit dem Ende der Nationalsozialisten und der Einführung des Grundgesetzes verschwand der Rassismus nicht aus diesen, unseren Gefilden. Immer wieder bricht er durch, zuletzt ganz massiv in Chemnitz. Er zeigt, dass es noch genug Menschen in Deutschland gibt, die nicht bereit sind, Unterschiede zu akzeptieren oder gar zu respektieren.

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Der Dienst am Menschen, in der Moschee

Für uns sind sie etwas Selbstverständliches. Sie waren da, als wir noch klein waren, wir sind auch in ihnen aufgewachsen und mindestens einmal die Woche finden wir uns dort wieder ein. Die kleinen und großen Moscheegemeinden um uns herum. Manche gibt es seit über 50 Jahren, manche erst seit 10-15 Jahren. Für die meisten von uns sind sie einfach da, als könnten sie aus sich heraus existieren, als würden alle Notwendigkeiten und Bedingungen für ihre Existenz von einer höheren Macht erfüllt.

Sie werden jedoch von Menschen betrieben, von Menschen wie du und ich. Von einigen wenigen Engagierten, die ihre Freizeit, ihr Können und oftmals ihr Geld aufopfern, damit wir alle in den Moscheen unsere religiösen und sozialen Bedürfnisse befriedigen können. Kaum eine Moscheegemeinde kann auf ein finanzielles Polster, hauptamtliche Verwaltungsmitarbeiter und gesicherte Einkünfte vertrauen. Für fast alle Gemeinden in Deutschland ist es Monat und Monat ein Ringen um das Notwendigste, eine stetige Mängelverwaltung, die uns am Ende unsere wertvollste Ressource Mensch, in Form von ausgebrannten Ehrenamtlichen, kostet.

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Wenn Allahs Hilfe kommt…

Acht Jahre waren vergangen, seit er diese Stadt fluchtartig verlassen musste. Nach seinem Leben hatten sie getrachtet, so weit waren sie damals bereit zu gehen. Über 20 Jahre waren vergangen, als er am Rande dieser Stadt die erste Offenbarung erhalten hatte. 20 Jahre voller Entbehrung, Zurückweisung, voller Sorgen aber auch Freuden. Und nun war er zurück, in der Stadt Abrahams, in der der “Freund Gottes” (Khalilullah) mit seinem Sohn die Fundamente des “Hauses Gottes” gelegt hatte.

Der Prophet war wieder in seiner Geburtsstadt Mekka, er war als Sieger eingezogen. Tage des Triumphs durchlebten der Prophet und seine Gefährten, aus dem Umland strömten Neugierige nicht nur in die Stadt, sondern auch in den Glauben. Jetzt wäre es endlich an der Zeit, den Sieg zu feiern, mit Stolz auf den Erfolg zu zeigen, auf die wachsenden Zahlen, die strömenden Mengen an Menschen. 

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“… was der Menschen Hände hat angerichtet”

Es ist der Monat der Besinnung, der Bewusstwerdung. So stellen wir uns den Ramadan vor, so wird er uns immer wieder fromm beschrieben. Nur, was sollen wir uns bewusst werden, um welche Besinnung geht es dabei?

Naheliegend ist beim Ramadan die Verknüpfung mit dem Thema Konsum und Enthaltsamkeit. Das Fasten in dem Monat, der Verzicht auf Speise und Trank von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang, rückt für uns in das Zentrum unserer Betrachtung. Das Fasten steht als Gottesdienst im Zentrum dieses Monats, wir fokussieren unser Wirken ganz selbstverständlich auf dessen Umsetzung. Wir reden über den Verzicht, welche spirituellen Zugänge uns darüber eröffnet werden. Der Ramadan soll uns in Erinnerung rufen, dass es auch Menschen ohne täglich Brot gibt.

Eine Frage bleibt dabei unbeantwortet: Warum fasten dann denn die Notleidenden mit? Es gibt zahlreiche Ausnahmen für das Fasten, Schwangerschaft, das Alter – zu jung oder zu alt -, Erkrankungen und einiges andere. Armut gehört nicht zu diesen Ausnahmen. Welchen Sinn hätte es dann denn, dass derjenige, der sowieso nicht viel hat, sich mit dem Fasten des Nicht-Viel-Habens bewusst wird? Weiterlesen ““… was der Menschen Hände hat angerichtet””