Der Rassist in mir

Rassisten sind nicht nur die Anderen. Ein Eingeständnis, das uns schwer fällt, denn dafür braucht es eines kritischen Blickes in das eigene Selbst, in die eigene Gruppe, Gemeinschaft, Nation. Die allgemein akzeptierte Definition von Rassismus nimmt den Blick auf den Anderen in ihr Zentrum. Rassismus ist demnach eine Ideologie, die Menschen aufgrund ihres Äußeren, ihres Namen, ihrer Kultur, Herkunft oder Religion abwertet.

Antirassismus, die Auseinandersetzung mit Rassismus, baut folgerichtig  darauf auf, wie mit dem Anderen umgegangen wird, welche Haltung dem Anderen gegenüber gezeigt wird. Der rassistischen Abwertung des Anderen geht oftmals eine bewusste oder unbewusste Aufwertung des Eigenen voraus: der eigenen Person, der eigenen Gruppe, der eigenen Gemeinschaft oder Nation. Dafür braucht es jedoch keiner hochtrabenden Manifeste. An unseren Handlungen oder unserer Untätigkeit können wir bereits sehen, ob wir nicht auch selbst Gefahr laufen, in rassistische Denkstrukturen zu verfallen.

Gerade in Deutschland sind es oft Zugewanderte, aber auch Muslime als religiöse Minderheit, die immer wieder Opfer von Rassismen werden. Doch jede Minderheit hat auch Kontexte, in der sie selbst die Mehrheit stellt. Würde das Dasein als Minderheit eine immunisierende Wirkung dagegen haben, selbst zum Rassisten zu werden, würden schwarze Muslime, muslimische Sinti und Roma, aber auch zum Islam konvertierte Muslime in unseren Gemeinden keine Probleme haben. Das Gegenteil ist der Fall.

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Nach Halle: Schaue nach vorn, meine Schwester, mein Bruder

“Wenn ihr nicht glaubt, kommt ihr nicht ins Paradies und ihr glaubt nicht, solange ihr euch nicht gegenseitig liebt”, lautet ein Ausspruch, ein Hadis des Propheten. Es ist ein Aufruf zu mehr Empathie und Zuneigung unter den Gläubigen. Ein Aufruf der in der Forderung nach Nächstenliebe soweit geht, die Existenz des Glaubens an Allah an das Vorhandensein dieser Liebe zu verknüpfen. Auch wenn der Wortlaut des Hadises diesen auf die Beziehung zwischen den Gläubigen zu beschränken scheint, bin ich mir sicher, dass der Sinn dahinter weit über die Glaubensgrenze hinausgeht und eine grundsätzliche menschliche Eigenschaft formuliert.

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Der Glaube im Instagram-Zeitalter

Was bedeutet es, Muslim zu sein? In unserer Kindheit haben wir in der Moschee gelernt, dass die „32 Pflichten“ (Türkisch „32 farz“) dazu gehören. Demnach realisiert sich der Glaube (iman) im Glauben an die Einheit Gottes, an die Engel, an die Offenbarungen und an die Propheten, an das Jenseits und dem Glaube daran, dass das Schicksal und alles Gute und Schlechte von Gott kommen. Die Umsetzung des Glaubens in die Praxis (islam) besteht im Aussprechen des Glaubenssatzes, im rituellen Gebet, dem Fasten im Ramadan, dem Zahlen der Armensteuer und dem Vollzug der Pilgerfahrt nach Mekka.

Das ist aber natürlich nicht alles. Heute glauben viele Muslime, das Tragen eines Kopftuchs und das Tragen eines Bartes und das räumliche und klangliche Abstandhalten zwischen nicht miteinander verheirateten Männern und Frauen gehöre ebenso zu den Glaubenspfeilern. Viele Muslime glauben auch, dass das Korrigieren von „Fehlverhalten“ von anderen Gläubigen ihnen Bonuspunkte bringt, die sie im Paradies einlösen können.

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Mit den eigenen Widersprüchlichkeiten leben

Wenn heutzutage Muslime zusammenkommen und sich über ihre gegenwärtige Situation in der Welt unterhalten, bleibt eines in der Regel nicht ausgespart: das Klagen über die mangelnde Einheit der Umma. Fast schon gebetsmühlenartig wird immer wieder beanstandet, wie unfähig doch die eigenen Glaubensgeschwister seien, selbst in wesentlichen Fragen einen gemeinsamen Nenner zu finden oder anderen gegenüber geschlossen aufzutreten.

Ob eine Gemeinschaft, in der jeder einhellig dieselbe Meinung vertritt, überhaupt möglich oder gar wünschenswert ist, sei einmal dahingestellt. Bezeichnend ist aber, dass dieses Streben nach Einheit im gemeinschaftlichen Sinne häufig seine Entsprechung auch im Bewusstsein vieler einzelner Muslime findet – nämlich in Gestalt eines unbeirrbaren Strebens nach Eindeutigkeit im Glauben. Weiterlesen “Mit den eigenen Widersprüchlichkeiten leben”