Statt Billigfleisch: Halal weiter denken

In den letzten Tagen hat der Skandal um die Ausbreitung von COVID19 in einem der größten Fleischfabriken Europas bei uns für großes Aufsehen gesorgt. Nicht nur, dass sich über 1500 Mitarbeiter dort infizierten und somit eine ganze Region unter strengen Kontaktbeschränkungen und Kontrollen fallen ließ sorgte für Ärger und Entsetzen. Ein Blick auf die Gründe für dieses Geschehen zeigte auch unter welchen erbärmlichen Bedingungen die Mitarbeiter, die zum größten Teil aus Osteuropa kommen, für wenig Geld arbeiten und wohnen. Nicht selten sind diese Menschen nach einigen Jahren harter Arbeit körperlich fertig.

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Frevler sind immer die Anderen

Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Dieser Sinnspruch ist in vielen Kulturen, in vielen unterschiedlichen Sprachen bekannt. Wir Muslime sind davon überzeugt, dass der Vorsatz, die Absicht, die unserem Handeln zu Grunde liegt, das Entscheidende ist. Wir nehmen häufig an, das Resultat unseres Handelns oder unserer Untätigkeit sei nicht so bedeutsam, wie die Absicht, die unserem Tun oder Unterlassen zu Grunde liegt. In diesem Denken liegt zugleich große Einsicht und tiefer Irrtum.

Einsicht insoweit, dass wir natürlich in Allahs Hand sind und die Ereignisse um uns allein seinem Willen folgen.

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Wissen bringt Verantwortung mit sich

Rassismus, Nationalismus, Gewalt gegenüber Minderheiten, Frauen und Kinder, eine immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich: Das sind die gravierensten Probleme unserer Gegenwart. Ohne eine ehrliche und schmerzhafte Auseinandersetzung mit diesen Problemen können wir sie als Gesellschaft nicht überwinden.

Spirituelle Menschen sehen in ihrem Glauben oft eine Ressource und Anleitung, um diese Ungerechtigkeiten zu bekämpfen oder erst gar nicht entstehen zu lassen. Aber reicht es aus, wenn wir als Muslime sagen, dass es im Islam keinen Nationalismus oder keinen Rassismus gibt? Versperren solche oberflächlichen Slogans nicht vielmehr den Blick für verschiedene Formen von Ungerechtigkeit in unserer Zeit? Allzuoft beobachtet man gebetsmühlenartig wiederholte Slogans und auswendiggelernte Floskeln, um vorhandene Probleme klein zu reden oder ganz unter den Teppich zu kehren.

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Wir sterben, wie wir leben

Das Wissen um die eigene Sterblichkeit ist uns Menschen Segen und Bürde zugleich. Wir können in dem Wissen um die zeitliche Begrenztheit unseres Lebens diesem einen Sinn verleihen, der über den Bestand unserer körperlichen Existenz hinausreicht. Gleichzeitig hinterfragen wir den Sinn unseres Handelns, unseres Hoffens, unserer alltäglich ausgefochtenen Kämpfe um Anerkennung, Bedeutung und Wertschätzung, wenn wir noch nicht einmal wissen, ob unser Leben am morgigen Tag oder gar in der nächsten Minute überhaupt fortdauern wird. 

Der Tod ist uns in diesem breiten Spektrum der Gefühle und Gedanken manchmal ein gnädiger Freund, manchmal ein uns viel zu früh heimsuchender Gegner. Der Umgang mit dem Tod ist in den verschiedenen Religionen und Kulturen ein sehr eigener, ein sehr besonderer Lebensabschnitt der Hinterbliebenen. In unserer muslimischen Gemeinschaft nimmt dieser Umgang Formen und Gestalten an, die uns auffangen, einen behutsamen Abschied ermöglichen aber zuweilen auch irritieren können. 

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Solidarität nach Belieben

Ein Gastbeitrag von Büşra Delikaya

Es ist nicht nur einmal, dass uns die soziale Ungerechtigkeit dieser Welt schmerzlich bewusst wird. Es ist auch nicht das erste Mal, dass ein Schwarzer in den USA rassistischer Polizeigewalt zum Opfer fiel. Etliche Namen wie Michael Brown und Sandra Bland gingen mit trauriger Aktualität versehener Namen wie Breonna Taylor und George Floyd voraus. Die Liste ist lang, das Problem nicht neu, vielmehr verweilte es bis dato als potenzielles Todesurteil Schwarzer Menschen unberührt im Alltag. Eine Ermordung folgte der nächsten, ein neuer Verlust und derselbe Kampf nach Gerechtigkeit.

Die brutale Ermordung ging viral – George Floyds letzten Minuten unter den drückenden Knien eines uniformierten Mörders für immer in Timelines und Privatnachrichten konserviert. Der dokumentierte Schrecken der Tat zwingt die haftende Passivität in die Knie. Die strukturelle Deklassierung Schwarzer Menschen wirft derzeit Schatten über die unbekümmerte Gedankenwelt so vieler. Das Nicht-Schwarz-Sein und die damit einhergehenden Vorzüge, die erst mit der Diskriminierung Schwarzer Menschen eine Existenz finden, bleiben einigen mehreren nun wiederholt im Halse stecken.

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Erkenne dich selbst

Es gibt Ideen und Anschauungen, die von dermaßen vielen Kulturen, Religionen und Philosophien teilweise unabhängig voneinander aufgegriffen werden, dass man sie zu einem gemeinsamen menschlichen Erbe erklären muss. Die Aufforderung “Gnothi seauton” (gr.) oder “Temet nosce” (lt.), zu deutsch: “Erkenne dich selbst”, darf man wohl zu den Aussagen zählen, die eine menschheitsgeschichtlich durchdringende Wirkung haben.

Als Muslim muss man nicht unbedingt Interesse an “griechischer” Philosophie zeigen, um über diesen Ausspruch zu stolpern. Auch in der Literatur muslimischer Gelehrter hat diese Aussage sehr früh einen festen Platz eingenommen. In der abgewandelten Form “Wer seinen Nafs (sein Selbst) kennt, der kennt seinen Herrn” wird er oftmals als Hadis dem Propheten selbst zugeschrieben, auch wenn das Vorliegen einer solchen Überlieferung von Hadis-Gelehrten angezweifelt wird.

Wir stolpern über diese Aussage aber auch bei Imam Maturidi (gest. 941 n. Chr.), dem Gründer der Maturidiyya-Theologie. Dieser theologischen Schule folgen insbesondere hanefitische Muslime, die zahlenmäßig in Deutschland die Mehrheit der Muslime darstellen dürften. “Unserer Ansicht nach erkennt der seinen Herrn, der sich selbst (seinen Nafs) erkennt”, schreibt Imam Maturidi in seinem Hauptwerk “Kitāb at-tauḥīd” (Buch über den Monotheismus).

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Wissen ist Glaubenspflicht, nicht Halbwissen

Der Prophet Mohammed (Friede sei mit ihm) sagte einst:

„Nach Wissen zu streben ist eine Pflicht für jeden Muslim, Mann und Frau. Darum strebt nach Wissen, wo es zu finden ist, und erfragt es von all denen, die es besitzen.“

Ein sehr wichtiger Ausspruch, der gerade in der heutigen Zeit von großer Bedeutung ist. In Zeiten, in denen wir von einer Fülle von Informationen umgeben sind und es nicht immer einfach ist, sie richtig zuordnen zu können. In virtuellen Räumen, die sich manchmal den Maßstäben der Seriosität und der allgemeinen Verhaltensregeln entziehen. Gerade die derzeitigen globalen Krisen wie der Klimakrise, Corona oder auch der Entsolidarisierung der Gesellschaft mit den sozial Schwachen und Minderheiten werfen bei vielen Menschen Fragen nach den passenden Antworten auf. Denn nichts verunsichert mehr, als kein Wissen über eine Angelegenheit zu haben.

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Ende des Ramadan

Wieder neigt sich der jährliche Fastenmonat seinem Ende zu. Und wieder lässt er uns erleben, wie die Herausforderungen, die er mit sich bringt, uns fast zur Gewohnheit werden. Wie scheinbar Unmögliches sich in ein alltägliches Ritual verwandelt und uns vor Augen führt, wie trügerisch unsere Gedanken und Vorstellungen über uns selbst sein können. Kaum sind wir in der Lage, hinter diesen Vorhang unserer Selbstwahrnehmung zu blicken, endet der Ramadan in Tagen der Freude, der familiären Verbundenheit und in vielfachen freundschaftlichen Begegnungen. Und wir fallen zurück in unser eingeübtes Verhalten und der Ramadan verblasst wieder für 11 Monate zu einer fernen Erinnerung der Überwindung von Hunger und Durst.

Dabei führt uns der Ramadan gerade in seiner letzten Phase, in seinen letzten Tagen deutlich wie nie die Macht der Veränderung vor Augen – und die Illusion von Beständigkeit. In den letzten Tagen des Fastens, wenn wir feststellen, mit wie wenig an Nahrung und Wasser wir auskommen, wie wenig es eigentlich bedarf, um uns zufrieden zu stellen, ahnen wir, dass die Beständigkeit unseres Alltages eigentlich nichts Statisches ist, sondern die schleichende Gewöhnung an Zustände und Verhaltensweisen.

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Die Einheit der Muslime

Eine der schönsten Eigenschaften unseres Glaubens ist das Prinzip der Ausgewogenheit zwischen Individualität und Kollektivität unserer Religionspraxis, aber auch unserer Glaubensfundamente. Jeder Aspekt unseres Glaubens, jedes Detail seiner praktischen, gelebten Form aber auch seiner geistigen und seelischen Berührungspunkte weist eine Balance, ein Gleichgewicht zwischen dem einzelnen Gläubigen und seiner Gemeinschaft auf.

Dieses Gleichgewicht zwischen Individuum und Allgemeinheit beginnt bereits bei unserem Glaubensbekenntnis – wir bekunden, dass es keinen Gott gibt, außer dem Einen, dem wir uns ganz persönlich zuwenden. Und gleichzeitig bekunden wir, dass Mohammed (s.a.s.) sein Gesandter ist. Einer, der nicht nur dem Einzelnen, sondern einer ganzen Gemeinschaft gesandt wurde.

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Der Segen der Nacht

Es sind die gemeinschaftlichen Rituale von Religion, die auf uns besonders intensiv wirken. Das Dschuma-/Freitagsgebet im Islam, der Gottesdienst am Sonntag in der Kirche oder die Zusammenkunft eines Minjan, einer Betgemeinde im Judentum. Die Bilder von solchen Gebeten werden zu Symbolen der gemeinsam erlebten Spiritualität, ob nach innen oder nach außen.

Gemeinschaftliche Gottesdienste sind jedoch nicht die einzige mögliche Form für Spiritualität in den Religionen, insbesondere im Islam. Lange vor dem gemeinsamen Gebet war es die individuelle Erfahrung, zB die Spiritualität der Nacht, die die Herzen des Propheten und seiner Gefährten bewegten.

Von Anfang an ruft Allah teala den Propheten zum Gebet in der Nacht. Dieser folgt diesem Ruf bis an sein Lebensende. Noch bevor es das rituelle Gebet fünfmal am Tag gibt, steht der Prophet mitten in der Nacht und lobpreist seinen Herrn. In der Sure Muzzammil, eines der frühesten offenbarten Suren des Korans, ist der Appell sehr eindringlich, lyrisch:

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