Rassisten sind nicht nur die Anderen. Ein Eingeständnis, das uns schwer fällt, denn dafür braucht es eines kritischen Blickes in das eigene Selbst, in die eigene Gruppe, Gemeinschaft, Nation. Die allgemein akzeptierte Definition von Rassismus nimmt den Blick auf den Anderen in ihr Zentrum. Rassismus ist demnach eine Ideologie, die Menschen aufgrund ihres Äußeren, ihres Namen, ihrer Kultur, Herkunft oder Religion abwertet.
Antirassismus, die Auseinandersetzung mit Rassismus, baut folgerichtig darauf auf, wie mit dem Anderen umgegangen wird, welche Haltung dem Anderen gegenüber gezeigt wird. Der rassistischen Abwertung des Anderen geht oftmals eine bewusste oder unbewusste Aufwertung des Eigenen voraus: der eigenen Person, der eigenen Gruppe, der eigenen Gemeinschaft oder Nation. Dafür braucht es jedoch keiner hochtrabenden Manifeste. An unseren Handlungen oder unserer Untätigkeit können wir bereits sehen, ob wir nicht auch selbst Gefahr laufen, in rassistische Denkstrukturen zu verfallen.
Gerade in Deutschland sind es oft Zugewanderte, aber auch Muslime als religiöse Minderheit, die immer wieder Opfer von Rassismen werden. Doch jede Minderheit hat auch Kontexte, in der sie selbst die Mehrheit stellt. Würde das Dasein als Minderheit eine immunisierende Wirkung dagegen haben, selbst zum Rassisten zu werden, würden schwarze Muslime, muslimische Sinti und Roma, aber auch zum Islam konvertierte Muslime in unseren Gemeinden keine Probleme haben. Das Gegenteil ist der Fall.
Auch wenn wir in vielen gesamtgesellschaftlichen Kontexten eine Minderheit sind, so schaffen wir es dennoch Grenzen zu ziehen, um uns damit über andere zu erheben. Es geht nicht nur darum, wie wir auf den Anderen blicken, sondern auch, wie unsere Haltung denen gegenüber ist, die wir als Eigene ansehen.
Der Prophet legt uns gerade diesen Blick nahe: “Rassismus (Asabiya) ist, dass jemand das Unrecht seines Volkes, seiner Gemeinschaft verteidigt.”
Nicht erst der Umgang mit dem Anderen, seine Abwertung stellt ein Problem dar. Die unkritische Haltung zur eigenen Gemeinschaft, das Dulden des Unrechts, das von den eigenen Leuten begangen wird, bereits dies reicht, um ins Verderben zu stürzen.
Ist denn die Annahme, man könnte nicht rassistisch sein, weil man einer Minderheit angehört, nicht auch schon eine Überhöhung der eigenen Gruppe, der eigenen Person? Wie aufrichtig ist das Klagen über das Unrecht anderer, wenn man das Unrecht, begangen von Angehörigen der eigenen Gruppe, bewusst übersieht, bagatellisiert oder sogar mit dem Hinweis auf erfahrenes Leid verteidigt?
Diesen prophetischen Hinweis darauf zu achten, welche Position wir zu aus der eigenen Gruppe heraus begangenem Unrecht einnehmen, können wir in vielen Kontexten zum Maßstab unseres eigenen Handelns machen. Wie stehe ich zu dem Unrecht, dass aus meiner eigenen Familie, meiner eigenen Gruppe oder Gemeinschaft ausgeht? Wie gehe ich als Polizist damit um, wenn ich Zeuge von Rassismus unter den eigenen Kollegen werde, wenn ich institutionellen Rassismus in den eigenen Reihen erkenne? Was tue ich als Imam oder Priester, wenn ich Verfehlungen meiner Kollegen kenne oder das Schweigen darüber? Was sage ich zum rassistischen Smalltalk auf der nächsten Familienfeier?
Eine antirassistische Einstellung und Haltung ist wichtig für den gesamtgesellschaftlichen Frieden. Beim Blick auf den Anderen dürfen wir jedoch nie den Blick auf uns selbst verlieren. Unsere Auseinandersetzung mit allen Formen von Rassismen wird unglaubwürdig, wenn wir die Augen vor dem Rassismus um uns herum verschließen. Rassisten, das sind nicht nur die Anderen, ja, das sind leider manchmal auch wir selbst.