Die Würde des Menschen

Ein Gastbeitrag von Aziz Dziri

Was bedeutet es als Gläubige und Gläubiger durch den Alltag zu gehen, Allah zu gedenken und dem Vorbild Mohammeds zu folgen? Gerade im heiligen Monat Ramadan versuchen wir uns von unseren Lastern zu befreien und uns von unserer Schokoladenseite zu zeigen. In meiner Lebenswelt bedeutet dies oftmals die Auseinandersetzung mit Armut und Würde.

In einem Hadith heißt es beispielsweise sinngemäß, dass der Prophet – Friede und Segen sei mit ihm – niemandem je eine Bitte abschlug (Sahih Muslim, 13, Nr. 1745). An anderer Stelle heißt es, dass eine gute Tat bereits eine ‘Sadaqa’ [freiwillige Abgabe/Wahrhaftigkeit] sei, es muss nicht zwingend etwas Materielles sein (Sahih Muslim, 13, Nr. 1677). Diese Aussprüche begleiten mich, wenn ich durch meine Heimat Berlin fahre und den vielen Menschen begegne, die in der U-Bahn oder der Fußgängerzone um einen Obolus bitten. Ich versuche jedes Mal mich zu überwinden etwas zu geben und wenn es nur einen Moment meiner ungeteilten Aufmerksamkeit bedeutet. An anderer Stelle habe ich schon oft mit Freundinnen und Freunden diskutiert, ob man denn bedingungslos oder eben nur bedingt spenden soll. „Wenn die das Geld, dass ich ihnen gebe, sowieso nur für Alkohol und Zigaretten ausgeben, helfe ich denen ja auch nicht!“ heißt es dann zum Beispiel.

Aufgrund der eben genannten Grundsätze habe ich oft vehement dafür argumentiert, den Bittenden immer zu versuchen zu helfen – und wenn es nur ein Lächeln ist, das Respektieren ihrer Autonomie oder der respektvolle Umgang mit ihnen, auch in ihren Miseren. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ein Satz welcher ebenso unser Grundgesetz einleitet, als auch den drei monotheistischen Weltreligionen als Grundidee gilt und sich darüber hinaus auch in den Prinzipien anderer Weltsichten spiegelt. Dem zuzustimmen ist einfach. Es umzusetzen im Tagtäglichen ist eine Kunst. Wenn wir durch den Park spazieren, im Supermarkt einkaufen oder unserer Arbeit nachgehen, sind wir tagtäglich mit einer schieren Masse an Würde konfrontiert, die nach Geltung verlangt. Als Muslime sind wir gemäß der Sure al-ʿAṣr dazu angehalten zu glauben, Gutes zu verrichten, die Wahrheit zu verbreiten und zur Geduld aufzurufen.

„Bei der Zeit!
Siehe, der Mensch ist wahrlich in Verlorenheit,
nur die nicht, welche glauben und gute Werke tun,
einander zur Wahrheit ermuntern
und zum Geduldigsein ermuntern.“ (103:1-3)

Hinsichtlich der Würde bedeutet dies, sie zu erkennen, sie zu achten, für sie zu plädieren und darin Beständigkeit zu zeigen. Aus meinem Selbstverständnis als Muslim heraus stehe ich auf in der Bahn, gehe zu der Person, die um Hilfe bittet, gebe ihr etwas und bedanke mich bei ihr – ich versuche sie zu würdigen und proaktiv auf die Menschen zuzugehen.

Weiß Gott bin ich nicht jeden Tag in Topform und fülle dieses Ideal vollkommen aus, sondern vielmehr ist es ein lebenslang währendes Projekt, bei jeder Begegnung aufs Neue vor der Herausforderung zu stehen, die oder den Gegenüber zu schätzen; ob arm oder reich; ob schwarz oder weiß; ob Frau oder Mann; ob jung oder alt. So lässt sich mit Schiller schließen:

„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich erheben!“
(Schiller, Die Künstler)