Ein Gastbeitrag von Akif Şahin
Im Islam fassen wir gute Tugenden und Charaktereigenschaften als “guter Ahlaq” zusammen. Zu diesen Tugenden gehören auch bestimmte Akte und Wohltaten für andere. Muslim*innen sind dazu angehalten, sich solidarisch zu zeigen und ihr Umfeld zu unterstützen. Als ein besonderes Charakterzeichen guter Muslim*innen gilt beispielsweise, dass sie großzügig und spendabel sind. Dabei geht es nicht um Verschwendung, sondern um Unterstützung anderer und insbesondere bedürftiger Personen.
Infāq, das Spenden auf dem Wege Allahs (swt), ist daher ein sehr wichtiges und sensibles Thema, das sowohl den Glauben als auch den Alltag betrifft. Muslim*innen müssen und sollten sich damit früh genug befassen, damit sie es später nicht so schwer haben, Solidarität mit bedürftigen Menschen und der Gesamtgesellschaft zu zeigen. Vor allem das Teilen und Spenden aus dem persönlichen Besitz und Vermögen stehen hierbei im Vordergrund.
Infāq beschreibt als religiöser Begriff, das Spenden vom eigenen Vermögen für arme und bedürftige Menschen. Das Spenden erfolgt auf dem Wege Allahs (swt) und die Absicht der Spendenden ist es Allahs (swt) Wohlgefallen zu erlangen. Infāq umfasst aus dieser Sicht sowohl die Pflichtabgabe Zakat als auch jede andere gute Tat, die aus freiem Willen erfolgt und in der das Spenden, Teilen, aber auch Opfern im Vordergrund steht.
Aus islamischer Sicht ist der wahre Besitzer aller Dinge Allah (swt). Reichtum ist etwas, das uns von Allah (swt) anvertraut und zur Verfügung gestellt wurde. Deshalb ist es notwendig, andere an diesem Reichtum teilhaben zu lassen. Nur dadurch kann ein gesellschaftlicher Ausgleich stattfinden. So stellt Infāq eine Form der gesellschaftlichen Umverteilung von Vermögen und Besitz dar.
„Glaubt an Allah und Seinen Gesandten und spendet von dem, was Er euch zur Verfügung gestellt hat. Denn denjenigen von euch, welche glauben und spenden, ist großer Lohn bestimmt.“
– (Koran, 57:7)
Im Koran wird darauf hingewiesen, dass die armen und bedürftigen Menschen ein Anrecht am Besitz und Wohlstand der Reichen haben. Die Bedeutung des Infāq stellt sich in der Idee dar, etwas Gutes tun zu wollen und dafür einen Entschluss (niyya) zu fassen. Eine Form von absoluter Solidarität mit den Bedürftigen ist der Kerngedanke des Infāq. Die Spende, das Teilen oder Opfern erfolgt dabei immer vom eigenen Vermögen bzw. Besitz.
„Und von ihrem Vermögen war ein Teil für den Bittenden und den verschämten Armen.“
– (Koran, 51:19)„Und von deren Vermögen ein Teil für den Bittenden und den verschämten Armen bestimmt ist,“
– Koran, (70:24-25)
Im Koran wird der Begriff Infāq in mehreren Versen verwendet. Oftmals wird der Begriff als „spenden“ oder „ausgeben“ verwendet. Solche Formulierungen finden sich in etwa 70 Stellen im Koran wieder. Interessant für das Verständnis des Infāq ist besonders der zweite Vers der Sura al Baqara.
„Die da glauben an das Verborgene und das Gebet verrichten und von Unserer Gabe spenden:“
– Koran, (2:3)
Infāq (hier als „spenden“ übersetzt) wird nach dem Glauben und dem Gebet im Islam erwähnt. So wird die Stellung dieser wichtigen gottesdienstlichen Handlung innerhalb des Islam deutlich gemacht. Infāq ist also ein Teil der islamischen Verhaltens- und Glaubenslehre. Wer keinen Infāq tätigt, kann kein*e gute*r Muslim*in sein. Entsprechend gehört es zu den Aufgaben von Muslim*innen den Infāq auszuüben, sobald sie dazu in der Lage sind.
In den Versen 261 bis 274 der Sura Al Baqara wird ausführlich dargelegt, wozu der Infāq gut ist, was sein Ziel ist und mit welchen Waren, Gütern und Spenden geholfen werden kann. Selbst die Art und Weise der Zuwendung wird geklärt. Der Koran arbeitet auch mit Vergleichen und erklärt, wie das Spenden den Lohn für die einzelne Person, die spendet, deutlich erhöhen kann.
Entsprechend der Verse können folgende Punkte festgehalten werden:
- Infāq sollte von der Zurschaustellung entfernt, ausschließlich um das Wohlgefallen Allahs (swt) erreichen zu wollen, getätigt werden.
- Der Spendende darf die Ehre und die Moral des Spendenempfängers nicht verletzen.
- Die getätigte Hilfe sollte, wenn nicht Geld gespendet wird, immer mit den guten und besten Waren und Gütern erfolgen.
- Damit der Infāq auch die wahren Bedürftigen erreicht, sollte man diese vorher selbst und auf eine geeignete Weise ermitteln — gerade im eigenen Umfeld.
In Vers 195 der zweiten Sure heißt es „Infāq auf dem Wege Allahs“. Schaut man sich weitere Verse an, wird deutlich, dass mit diesem Infāq vor allem der Gehorsam gegenüber Allah (swt) gemeint ist. Ebenfalls ist damit gemeint, dem Islam und den Muslim*innen durch Hilfe und Spenden zu helfen. Spenden wird von Muslim*innen als eine religiöse Pflicht und Handlung verstanden. Muslim*innen spenden, um anderen Menschen zu helfen.
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die Form des Infāq reicht von der Unterstützung zur Verteidigung der Heimat, der Organisation von Pilgerfahrten (Hadsch), der Unterstützung von Bedürftigen, Schulen, Bibliotheken, Moscheen, Straßen, Brücken, Brunnen sowie Heime.
Auch Investitionen in den Umweltschutz wurden als eine Form des Infāq verstanden. Viele private und gemeinnützige islamische Stiftungen (awqaf) gründeten sich auch auf dem Gedanken des Infāq, indem ein soziales Problem und dessen Lösung im Vordergrund standen.
Muslim*innen sind zuallererst dazu angehalten, ihre eigene Familie zu unterstützen und ihren Verdienst im Sinne und auf dem Wege Allahs (swt) zu nutzen. Erst wenn die Versorgung der Familie gewährleistet ist, kann man angehäuftes Vermögen mit anderen teilen.
Vorbild ist auch hier der Prophet Muhammad (saw). Dieser hat, wo immer er konnte, verwitweten Frauen und verwaisten Kindern geholten. Der Kalif Umar (ra) hat diese Praxis der Hilfe für die Bedürftigen unter anderem als Pflicht der öffentlichen Hand deklariert. Ebenso wurde diese Pflicht zur Solidarität mit den Schwachen auch eine soziale Säule des Osmanischen Reiches.