In der kommenden Woche beginnt der Monat Ramadan. Es ist der neunte Monat des islamischen Mondkalenders. Von Mitte Mai bis Mitte Juni werden wir einen Monat lang uns auf eine der fünf Säulen des Islam stützen – das Fasten. Verschiedene Koranverse verweisen auf das Fasten und auf den Monat Ramadan, unterstreichen den Segen, der diesem Monat und dem Fasten innewohnt und erinnern daran, dass die ersten Verse des Koran im Monat Ramadan offenbart wurden (vgl. 2, 185, 187; 97; 19, 26).
Der Offenbarungstext spricht von „saum“, wenn er das Fasten meint. „Saum“ beschreibt ein Innehalten, ein Ruhen, ein Stillstehen. Der Gedanke der Enthaltsamkeit, nicht nur von Nahrung und Wasser, sondern von allen weltlichen Dingen, prägt diese Zeit. Sie reißt uns heraus aus unserem gewohnten Alltag, stellt Selbstverständlichkeiten infrage, bricht mit Gewohnheiten und stellt uns vor Fragen, die sich um das Wesentliche drehen. Was ist unverzichtbar? Welchen Wert haben die Dinge, die uns umgeben? Von was fühlen wir uns abhängig? Und von was sind wir tatsächlich abhängig? Welche Kraft geht von der Geduld aus? Wozu sind wir selbst in der Lage? Und wem oder was sind wir letztlich vollkommen ausgeliefert?
In dieser Zeit wird uns bewusster, in welchem Überfluss an Nahrungsmitteln wir leben. Wie selbstverständlich wir mühelosen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Wie befriedigend ein einfaches Stück Brot sein kann. Und wie ein Glas kühles Wasser plötzlich besser schmeckt, als jedes andere Getränk.
Wir werden wieder aufmerksam für die wundersame Pracht einer Morgendämmerung und den Zauber eines Sonnenuntergangs. Unser Lebensrhythmus orientiert sich an den faszinierenden Mächten der Schöpfung. Unsere Tage leben wir ganz bewusst und voller Erwartung nach dem Lauf der Erde um die Sonne und den Monat Ramadan nach dem Lauf des Mondes um die Erde. Unsere existenziellsten Bedürfnisse sind diesen Kräften unterworfen und wir ahnen vielleicht, wie klein wir sind im Angesicht unseres Schöpfers. Und wie er uns dennoch segnet mit diesen Erfahrungen im Ramadan.
Aber wir bleiben Menschen. Das Gefühl, Herren über unsere Welt zu sein, können wir nicht vollständig ablegen. Also versuchen wir uns auch im Ramadan in der Kraft des Gestaltenden. Wir organisieren den Ramadan. Wir haben Ramadan-Kalender, Ramadan-Timeplaner. Wir planen die Tage und Nächte des Ramadan durch, laden zu üppigen Abendmählern ein, sind zu Gast bei opulenten Iftar-Empfängen und versichern uns gegenseitig unserer Wichtigkeit. Wer mit wem an welchem Tisch sitzt, wen wir zum Iftar einladen oder eben demonstrativ nicht einladen – all das wird zum Instrument politischer Machtgebärden und zum Mittel sozialer Hackordnung. Wir haben dabei sogar den Begriff des „VIP-Iftar“ erfunden. Wir glauben, der Ramadan sei eine Zeit, in der wir weltliche Botschaften senden.
Oder wir glauben, in dieser Zeit neue Vorsätze für ein religiöseres Leben fassen zu können. Wir wollen häufiger beten, mehr im Koran lesen, bewusster leben und die Not und das Leid anderer Menschen deutlicher wahrnehmen und häufiger dabei helfen, es zu lindern. Und gleichwohl versinken wir nach diesem Monat immer wieder im Alltagstrott und in Gleichgültigkeit.
Dabei verkennen wir, dass der Ramadan uns letztlich vor Augen führt, dass wir im Grunde nichts aus eigenem Wollen tun können. Der Ramadan verdeutlicht uns, dass tatsächliche Ergebenheit in Allah auch bedeutet, die eigene vollkommene Machtlosigkeit einzusehen und auszuhalten.
Ein tief im Glauben verankerter Mann hat diese Herausforderung vor über 80 Jahren als Gedanken zum 1. Januar beschrieben. Es sind Gedanken, die Dietrich Bonhoeffer natürlich aus einer anderen Glaubenswelt heraus formuliert, die aber zugleich so treffend islamische Glaubensauffassungen beschreiben, dass wir unsere muslimische Überzeugung von dem inneren Zusammenhang der Offenbarungen bestätigt finden.
Er kritisiert darin den, der „meint, der gute Vorsatz mache schon den neuen Anfang, d.h. er meint, er könne von sich aus einfach einen neuen Anfang machen, wann er es gerade wolle. Und das ist eine böse Täuschung; einen neuen Anfang macht allein Gott mit dem Menschen, wenn es ihm gefällt, aber nicht der Mensch mit Gott. Einen neuen Anfang kann der Mensch darum überhaupt nicht machen, sondern er kann nur darum beten. Wo der Mensch bei sich selbst ist und aus sich heraus lebt, da ist immer nur das Alte, das Vergangene. Allein wo Gott ist, ist das Neue und der Anfang und Gott kann man nicht kommandieren, man kann um ihn nur beten. Aber beten kann der Mensch nur, wenn er begreift, daß er etwas nicht kann, daß er an seiner Grenze ist, daß ein anderer anfangen muß.“
Im Ramadan führt uns Allah immer wieder an diese Grenze. Die Grenze des Körperlichen und des Geistigen. An die Grenze unserer Einsicht, nur zu ihm – für die Möglichkeit der Veränderung und die Kraft danach zu leben – beten zu können. Eine Veränderung zu unserem persönlichen Wohl und zum Wohl aller Menschen.
Möge Allah während des Ramadan unser Fasten und all unsere Gebete annehmen. (mk)