Wenn heutzutage Muslime zusammenkommen und sich über ihre gegenwärtige Situation in der Welt unterhalten, bleibt eines in der Regel nicht ausgespart: das Klagen über die mangelnde Einheit der Umma. Fast schon gebetsmühlenartig wird immer wieder beanstandet, wie unfähig doch die eigenen Glaubensgeschwister seien, selbst in wesentlichen Fragen einen gemeinsamen Nenner zu finden oder anderen gegenüber geschlossen aufzutreten.
Ob eine Gemeinschaft, in der jeder einhellig dieselbe Meinung vertritt, überhaupt möglich oder gar wünschenswert ist, sei einmal dahingestellt. Bezeichnend ist aber, dass dieses Streben nach Einheit im gemeinschaftlichen Sinne häufig seine Entsprechung auch im Bewusstsein vieler einzelner Muslime findet – nämlich in Gestalt eines unbeirrbaren Strebens nach Eindeutigkeit im Glauben.
Nicht selten gehen wir davon aus, dass es auf jede Frage, die sich uns im Leben stellt, unbedingt eine eindeutige (islamische!) Antwort geben muss. Unsere Aufgabe als Muslime scheint demnach klar vorgegeben zu sein: wir müssen uns möglichst viel Wissen aneignen, damit wir eines Tages mit Gottes Hilfe eben jene Antwort finden können. Solange wir nicht an diesem Punkt angekommen sind, gelten wir in unseren eigenen Augen als unvollkommen. Die noch nicht erreichte Klarheit im Glauben und die Widersprüchlichkeiten in unserem Denken erachten wir als Anzeichen eines defizitären und daher zu überwindenden Zustands.
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