Die Menschen sind unterschiedlich. Das ist ein Gemeinplatz, würde man meinen. Wenn wir allerdings einmal um uns schauen, dann werden wir schnell eines Besseren belehrt. Viele – ja, mitunter auch wir selbst – tun sich nämlich nach wie vor sehr schwer mit dieser scheinbaren Selbstverständlichkeit. Menschen, die in irgendeiner Weise anders sind als wir, werden stereotypisiert, sie werden in Schubladen gesteckt, mit Klischees und Vorurteilen belegt. Immer häufiger begegnet man ihnen mit Argwohn, Ablehnung und sogar Hass.
Ob Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung oder kulturelle Herkunft, anhand irgendeines beliebigen Merkmals werden Menschen als anders, unnormal oder fremd gebrandmarkt und daher angefeindet. Heute ist menschenfeindliche Hetze gegen Juden, Muslime, Roma, Homosexuelle, Asylsuchende oder allgemein Fremde nicht nur in unserem Land, sondern europa-, ja, weltweit leider Alltag geworden. Sie begegnet uns auf der Straße ebenso wie in der politischen Öffentlichkeit und ganz massiv im Internet. Hier werden komplexe Sachverhalte stark vereinfacht und in holzschnittartige Freund-Feind-Bilder übersetzt. Objektive Tatsachen spielen nur dann eine Rolle, wenn sie das eigene Weltbild bestätigen. Ansonsten werden sie schlicht ignoriert, wenn nicht verdreht.
Es sind aber nicht nur die Grenzen des Sagbaren, die sich heute verschieben. Auch der Aggressionspegel in der realen Welt steigt. Die feindselige Rhetorik des Internets entlädt sich in Form von immer mehr Übergriffen auf Menschen, die anders sind oder nicht so aussehen wie die Mehrheit in unserem Land. So gab es im Jahr 2017 etwa 1500 antisemitische Straftaten in Deutschland, mehr als 2200 Übergriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte, über 300 dokumentierte homophob oder transphob motivierte Straftaten und nach wie vor durchschnittlich jede Woche einen Angriff oder Anschlag auf eine Moschee.
Als Muslime sind wir dazu angehalten, uns sowohl gegen Gewalt als auch gegen die allgemeine Verrohung der Sprache in der Öffentlichkeit zu stellen. Es darf nicht sein, dass politische und gesellschaftliche Debatten zunehmend und bisweilen sogar gezielt von menschenverachtender und menschenfeindlicher Rhetorik dominiert werden. Hier ist der Koran ganz klar: Allah stellt sich immer auf die Seite der Verletzbaren, der Ausgegrenzten und Unterdrückten, und er fordert uns auf, es ihm gleich zu tun. In der Sure al-Maun (die Unterstützung) heißt es hierzu:
„Verflucht seien jene, welche das Gebet verrichten und unbedacht sind, wie sie beten, die sich selbst zur Schau geben, jedoch die Hilfestellung verwehren.“ (107:4-7)
Der Koran stellt also eine direkte Verbindung her zwischen unserem Glauben und der Verpflichtung zur Solidarität mit den Schwachen, und zwar ohne Einschränkung. Die Verpflichtung gilt also vor allem auch dann, wenn die Betroffenen nicht zu uns gehören. Weder ihre Religionszugehörigkeit noch ihr ethnischer oder kultureller Hintergrund, weder ihr Geschlecht noch ihre sexuelle Orientierung sind hier ausschlaggebend, sondern allein die Tatsache, dass sie auf unseren Beistand angewiesen sind. Ähnlich wie Allah sich uns zuwendet, sollen auch wir uns den Menschen zuwenden – nicht mit Hass und Argwohn, sondern mit Güte und Verbundenheit.
Jeder Mensch, so betont der Koran, trägt den Geist Gottes in sich (15:29; 32:9). Und somit ist auch jeder und jede Einzelne von uns ein mit Würde ausgestattetes Geschöpf.
„Wir haben den Kindern Adams Würde verliehen.“ (17:70)