Regelmäßig und wenig, statt zu viel und überfordernd

Ein Gastbeitrag von Akif Sahin

In jedem Ramadan trifft man auf Menschen, die sich quasi in einen Wettbewerb mit anderen begeben, darüber wer welche gottesdienstlichen Handlungen ausgeführt und wer welche Herausforderungen auf einer Liste erfüllt hat. Dieser „Optimierungswahn“ ist längst zu einem kommerziellen Geschäft geworden, in denen „Coaches“, natürlich nur gegen Geld, Muslim:innen erklären, wie sie sich bestimmte Ziele setzen und erreichen sollen, damit sie ins Paradies kommen. 

Der ganze Schwachsinn ist von Beginn an falsch konzipiert und wird leider in unserer „Leistungsgesellschaft“ nicht als schädlich für eine positive Persönlichkeitsentwicklung erkannt. Es ist fatal, sich in Glaubensfragen „Ziele“ zu setzen. Nehmen wir einen einfachen Fall. Man möchte im Monat Ramadan den Koran rezitieren und setzt sich als Ziel am Ende des Monats Ramadan den gesamten Koran zu lesen. Was passiert, wenn man dieses Ziel nicht erreicht hat? Welche Auswirkungen hat ein nicht erreichtes Ziel auf meine eigene Psyche? Und wird man dieses Ziel noch einmal in Angriff nehmen, wenn man dieses Jahr gescheitert ist?

Genau deshalb sind solche Listen, die herumgereicht werden, kein Beitrag zu einem festen und gewachsenen Glauben, sondern ein Beitrag zur Demotivation und zum Scheitern. Der Glaube von Muslim:innen kann nicht dadurch erstarken, dass man plump alles ausführt, was auf einer Liste aufgeführt wird, von Personen, die man nicht mal richtig kennt (anders wäre das beispielsweise im Sufitum, wo man unter Anleitung bestimmte Lehrinhalte vom Lehrer vermittelt bekommt und verinnerlichen soll).

Das Risiko sich zu übernehmen ist jedoch riesengroß und die zusätzlichen Dinge, die man tun möchte, können Muslim:innen vielfach überfordern. Das in der Sunna des Propheten (sav) eben jene Versuche sich übermäßig und extrem einer religiösen Handlung zu widmen immer wieder auf Kritik gestoßen sind, zeigt sich exemplarisch auch an einem Hadith, der uns von Aischa (ra) der Ehefrau des Propheten (sav) überliefert wurde:

Einmal kam der Prophet, während eine Frau bei mir saß. Er fragte: “Wer ist sie?” Ich antwortete: “Sie ist so und so”, und erzählte ihm von ihrem (übermäßigen) Gebet. Er sagte missbilligend: “Tue (gute) Taten, die im Rahmen deiner Möglichkeiten liegen (ohne dich zu überfordern), denn Allah wird nicht müde (Belohnungen zu geben), aber du wirst müde werden, und die beste Tat (gottesdienstliche Handlung) vor Allah ist die, die regelmäßig getan wird.” (Sahih al-Bukhari 43; Buch 2, Hadith 36)

Gerade diese Form der Ermahnung ist eine Ablehnung einer Selbstoptimierung, die darauf aus ist, eine bestimmte Anzahl von gottesdienstlichen Handlungen zu erreichen. Listen, die uns weißmachen wollen, wir würden bessere Menschen werden, wenn wir bestimmte Anzahlen von Dingen tun, sind eine Extreme und eine Modeerscheinung. Vielmehr empfiehlt uns der Prophet (sav) einen Weg der Mitte, der die regelmäßigen Handlungen, und seien sie noch so klein, in den Vordergrund setzt.

Und hier ist vielleicht auch das größte Missverständnis mit Optimierungslisten zu verorten. Im Islam geht es darum sich selbst täglich zu verbessern, in kleinen Schritten, aber ein klares Ziel bleibt eher undefiniert (wenn man vom Seelenheil und dem Eintritt ins Paradies im Jenseits absieht). Es geht darum sich selbst zu verändern und eine bessere Version des eigenen Selbst zu werden. Wenn man sich hierzu ein Ziel setzt, läuft man jedoch Gefahr zu scheitern und sich demotiviert abzuwenden. Wer sich auf das konzentriert, was wir das eigene „System“ nennen, kann sich aber verbessern.

Wenn wir täglich und regelmäßig unseren Gebeten und anderen gottesdienstlichen Handlungen nachgehen, wenn wir regelmäßig an uns selbst arbeiten, dann ist das tatsächlich zielführender als sich ein Ziel zu setzen, dass in einer schnell bestimmten Anzahl von Tagen erreicht werden soll. Jeder Mensch hat sein eigenes Tempo und seine eigenen Bedürfnisse. Auf dem Weg, gute Muslim:innen zu sein, sollte man daher aufpassen, das man am Ende nicht ausrutscht, weil man sich übernimmt.

Und bei genauerer Betrachtung versteht man auch die Problematik noch besser. Was nützt es beispielsweise innerhalb von 30 Tagen der Koran so und so viel Mal gelesen zu haben, wenn man stattdessen 365 Tage im Jahr zwei Seiten lesen und verstehen könnte? Was nützt es zusätzliche Gebete aufzusagen im Ramadan, wenn man die fünf Mal täglichen Pflichtgebete vernachlässigt? Was nützt es Listen abzuhaken, wenn man es nicht mal schafft das Bett aufzuräumen?

Aus Erfahrung kann ich nur sagen: Keine Ziele setzen, sondern jeden Tag etwas mehr am eigenen System verbessern und schon im nächsten Jahr hat man mehr erreicht, als eine Liste einem im Ramadan an Aufgaben und Versagen geben kann. Oder man richtet sich nach dem, was der Prophet für schön empfunden und empfohlen hat. Aischa (ra) berichtet:

Die beliebteste Handlung für den Gesandten Allahs war diejenige, welche derjenige, der sie ausführte, beständig und regelmäßig tat. (Sahih al-Bukhari 6462; Buch 81, Hadith 51)