Wessen Furcht muss von uns ernstgenommen werden und über wessen Furcht dürfen wir lachen?

Ein Gastbeitrag von Patrick Isa Brooks

O Herr, meine Seele ist betrübt bis an den Tod! Es drängt mich, Dir mein Leid zu klagen. Die weltweite Pandemie, mit der wir geprüft werden, hat uns alle ärmer gemacht. Sie hat Existenzen zerstört und Träume vernichtet, Ängste erzeugt und in die Einsamkeit geführt. Unzählige Menschen haben wir zu Grabe tragen müssen; auch solche, die nicht „sowieso“ gestorben wären. Viele von ihnen fielen der Krankheit zum Opfer, weitere den Nebenwirkungen der Impfung. Wieder andere starben aufgrund von häuslicher Gewalt oder nahmen sich in ihrer Verzweiflung selbst das Leben. Die Bilder von den Intensivstationen und Krematorien haben sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt, Todesstatistiken und Inzidenzbarometer sind zu unserem traurigen Alltag geworden. O Herr, jeder Todesfall ist einer zu viel, und doch stelle ich bestürzt fest, dass wir nicht allen Verstorbenen die gleiche Aufmerksamkeit schenken. Der Corona-Opfer gedenken wir zurecht mit einem Staatsakt und halten ihren Angehörigen tröstend Hand und Schulter hin. Über die Impftoten hingegen sowie über Totschlags- und Selbstmordzahlen im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen sprechen wir nicht. Wir betrachten sie eher als Makel, als unerwünschten Fehler im System, der den Erfolg unserer eiligen Impfkampagne bloß trüben, ja unseren gesellschaftlichen Aktionismus infrage stellen könnte. Jene Verstorbenen sind aber mehr als Kollateralschäden: Auch sie waren Menschen, die Angehörige hinterlassen haben. Auch ihrem Tod gilt es Rechnung zu tragen, auch ihre Lieben müssen wir als Gesellschaft trösten und versorgen! Hilf uns, dieses Leid ebenso anzuerkennen! Hilf uns, dafür empfänglich sein! Bitte lass es uns nicht egal sein!

O Herr, ich suche Zuflucht bei Dir in meinem Kummer! Wir alle sind zutiefst verunsichert. Im Kern hat jeder und jede von uns den innigsten Wunsch, gesund zu bleiben und die Liebsten zu schützen. Für die meisten Menschen bedeutet dies, sich für die CoViD-Impfung zu entscheiden, und es ist unbedingt richtig, dass wir uns als Gesellschaft dafür einsetzen, allen Impfwilligen einen solchen Schutz zu ermöglichen. Es gibt unter uns aber auch solche, deren innere Stimme zur Vorsicht mahnt. Sie haben oft lange mit sich gerungen, Informationen verglichen und nach besonnener Abwägung von Nutzen und Risiko beschlossen, sich nicht gegen Corona impfen zu lassen. Während die einen also nichts ärger fürchten als eine CoViD-Erkrankung, haben die anderen große Angst vor schweren Impfnebenwirkungen. Ich frage Dich, o Herr, denn ich weiß keine Antwort: Wessen Furcht muss von uns ernstgenommen werden und über wessen Furcht dürfen wir lachen? Welche jener beiden Ängste verdient es, dass wir als Gesellschaft zusammenhalten und unser gemeinsames Streben an ihr ausrichten, und welcher Angst können wir bedenkenlos jedwede Berechtigung absprechen? Ist es fair, dass wir Impfskeptiker pauschal als rechte Spinner abstempeln und jegliche Kritik am Regierungsnarrativ als kruden Verschwörungsmythos abtun? Ist es gerecht, regelmäßig getestete „Ungeimpfte“ als Pandemietreiber zu bezeichnen, wo wir doch gleichzeitig wissen, dass die Impfstoffe nur für begrenzte Zeit schützen und auch keine Herdenimmunität bewirken können? Ist Solidarität eine Einbahnstraße, sodass „Ungeimpfte“ mit ihren Steuern weiterhin zur kostenlosen Bereitstellung von Impfstoffen beitragen sollen, während Geimpfte nicht länger willens sind, sich finanziell an kostenfreien Tests zu beteiligen?

O Herr, ich möchte Dir mein Herz ausschütten, so weh ist mir! Ich habe Angst davor, jetzt alles ruhig hinzunehmen und morgen in einer Wirklichkeit aufzuwachen, in der die einen dazugehören und die anderen ausgeschlossen sind. Die finstere Vorstellung, dass ein Teil der Bürgerinnen und Bürger bald Merkmale wie „gut“, „sozial“, „gerecht“, „verantwortungsvoll“ oder „opferbereit“ einseitig für sich beanspruchen sollte, während alle „Non-Konformen“ für grob fahrlässig, unmenschlich und damit minder gemeinschaftstauglich befunden werden könnten, lässt mich buchstäblich erschaudern. Ich möchte in keiner Welt leben, in der mein Impfstatus darüber entscheidet, ob ich meiner Arbeit nachgehen, ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen oder auch nur einen Supermarkt betreten darf. Ich wünsche mir ein Land, das mir weiterhin erlaubt, freizügig zu reisen und meine Familie im Ausland zu besuchen; ein Land, in dem der ungehinderte Zugang zu Bildung auch dann selbstverständlich bleibt, wenn ich nicht dazu bereit bin, mein Kind für eine bundesweite Impfaktion zur Verfügung zu stellen. Warum sollten Menschen in einem Rechtsstaat dazu genötigt werden, zwischen Freiheit und Gesundheit, zwischen Teilhabe und Gewissenentscheid zu wählen? Vielleicht sind all diese Befürchtungen unbegründet, o Herr! Vielleicht male ich den Teufel an die Wand, aber die Vorzeichen für solche Entwicklungen sind längst da und es bereitet mir gewaltiges Unbehagen, dass die große Mehrheit in unserem Land zu sämtlichen Maßnahmen einfach schweigt.

O Herr! Noch einmal will ich mein Wehklagen anstimmen, bald bin ich still. Ich dachte immer, ein offener Diskurs sei in unserer Demokratie gewünscht, und doch vermisse ich in den derzeitigen öffentlichen Debatten ernsthafte Kontroversen. Zahlreiche namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden nicht gehört, Studien aus aller Welt nicht besprochen. Stattdessen wird der bisher eingeschlagene, maximal-invasive politische Kurs unbeirrt beibehalten. Die Frage, wie wir als Gesellschaft im Zeichen der Pandemie weiter zusammenleben wollen, wurde im Bundestagswahlkampf größtenteils umschifft. Auch die politische Bildung, die stets auf Meinungsvielfalt pocht, vor Überwältigung mit einseitigen Fakten warnt und zurecht für die unterschiedlichsten Formen von gesellschaftlichen Ausschlüssen sensibilisiert, äußert sich zum Thema 2G nicht. Und die Religionsgemeinschaften, o Herr? Ich höre jedenfalls nichts. Die großen Kirchen scheinen die Maßnahmen der Regierung für alternativlos zu halten und die religiösen Minderheiten bleiben wohl ruhig, weil sie schon genügend andere Probleme haben. Wenn mich der Islam aber eines gelehrt hat, so ist es doch, die heiligen Prinzipien, die Du uns übermittelt hast, hochzuhalten, und das Zusammenleben, das Du Dir für uns wünschst, zu schützen: Alle Menschen sind vor Deinem gerechten Antlitz gleich und jedwede gesellschaftliche Spaltung, so glaube ich, ist Dir als allbarmherzigem Gott ein Gräuel. Lass uns diesen Gedanken nicht vergessen! Schreibe ihn in unsere Herzen!

O Herr, es schmerzt mich, denn ich stehe am Scheideweg und kann doch nur das Falsche tun! Als islamischer Theologe und politischer Bildner habe ich den unbedingten Wunsch, dem gesellschaftlichen Wohl zu dienen und die Welt damit hoffentlich ein kleines Stückchen besser zu machen. Dennoch nehme ich eine zunehmende Entfremdung von dieser Gesellschaft bei mir wahr. Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung scheint immer mehr zur Glaubensfrage zu werden und sie droht, Familien zu entzweien und Freundschaften kaputt zu machen. O Herr, wie können wir dieser Polarisierung entfliehen, wie unsere Grundrechte retten? Ich dachte immer, 2xG stünde für Grundgesetz (GG) und nicht für „Geimpfte und Genesene“. Ich wünsche mir sehr, dass wir als Gesellschaft einen vernünftigen und für alle Menschen würdevollen Umgang mit Corona finden, dass wir aufeinander Rücksicht nehmen und unsere Freiheiten verteidigen, denn wo keine Freiheit mehr da ist, verliert auch die Gesundheit, ja die menschliche Existenz insgesamt, ihren besonderen Wert. Ich stehe nackt vor Dir und weiß nicht mehr weiter: Bitte mach, dass es aufhört!

O Herr, vergib mir, falls ich im Irrtum sein sollte, aber ich kann nicht anders! Amen.