Die gebildete Unwissenheit

Wir leben in einer Zeit, in der jeder von uns mit einem Smartphone von fast überall Zugang hat zu einer Fülle von Informationen, deren Fülle man sich kaum vorstellen kann. In vielen alltäglichen Dingen bringt dies eine gewisse Erleichterung mit sich. Aber sehr schnell führt es bei uns Menschen auch zu einer Illusion, indem der Unterschied zwischen bloßer Information und fundiertem Wissen immer unkenntlicher wird. Das betrifft ganz unterschiedliche Lebensbereiche. Besonders auffällig sind die Auswirkungen bei der Verbreitung von Fake News, indem ganz unterschiedliche politische Akteure die Überflutung des einzelnen Menschen mit Informationen für sich nutzbar machen. Sie streuen gezielt Nachrichten zur Desinformation und Manipulation, welche die Emotionen und Ängste der Menschen bedienen, und sie somit für eine politische Ideologie empfänglich machen.

Aber auch wir Muslime können uns diesen Herausforderungen der Technik nicht entziehen. Insbesondere viele junge Muslime, die im Elternhaus vielleicht nicht genügend Wissen über ihren Glauben vermittelt bekommen, suchen im Internet nach vermeintlich authentischem Wissen über ihren Glauben. Die Angebote sind sehr vielfältig, und für die meisten Jugendlichen ist es nicht einfach festzustellen, wie vertrauenswürdig und seriös die Quellen sind. Oft erzeugt diese Abrufbarkeit von Informationen über das Internet bei diesen Jugendlichen das Gefühl, dass sie sich wirkliches Wissen angeeignet haben. Und manche entwickeln sich im Laufe der Zeit zu selbsternannten Predigern, die dann gerne im Freundes- und Bekanntenkreis ganz locker darüber entscheiden, was halal und haram ist.

Jenseits der Vorteile, die das Internet mit sich bringt, beinhaltet diese Form der Informationsaneignung insbesondere im Bereich der islamischen Wissenschaften eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Die erste Gefahr ist der fehlende Respekt und die Demut vor dem Wissen und die gleichzeitige illusionäre Gleichsetzung von bloßer Information mit wirklichem Wissen. Gerade die Gelehrten in der islamischen Tradition sind ein gutes Beispiel dafür, wie zurückhaltend und demütig man vor dem Wissen und vor allem vor einem Urteil über Fragen des Glaubens gewesen ist. Über Imam Malik wird etwa berichtet, dass einmal ein Mann zu ihm kam und ihm 48 Fragen zu unterschiedlichen Lebensbereichen gestellt hat. Zu 32 Fragen antwortete er mit den Worten: „Ich weiß es nicht.“ In unserer Zeit würde dagegen jeder Selfmade-Prediger alle Fragen beantworten und das ohne einem Hauch von Zweifel, geblendet von seiner gebildeten Unwissenheit.

Wissen ist ein kostbares Gut. Daher ist neben der Aneignung des Wissens, nicht der bloßen Information, auch der Umgang mit dem Wissen von zentraler Bedeutung. Wer ohne den nötigen Respekt und die Demut vor dem Wissen handelt, wird seiner Verantwortung nicht gerecht. Shaykh Google ist daher nicht die Quelle für Wissen. Nur müssen wir uns Muslime in Deutschland auch die Frage stellen, warum wir diese jungen Muslimen nicht mit sinnvollen Alternativen erreichen können.