Das Symbol des Regenbogens hat in den vergangenen Tagen für öffentliche Aufregung gesorgt. Gerade auch im muslimischen Kontext ist der Umgang mit Diversität sehr schwierig. Wenn es gar um die Frage sexueller Diversität geht, geraten die Diskussionen schnell in schrille Tonlagen.
Als Muslime rühmen wir uns, dass wir jedes Leben um des Schöpfers Willen achten und lieben. Wenn es aber um Menschen mit einer von den üblichen Normen innerhalb unserer Gemeinschaften abweichenden sexuellen Identität geht, verirren sich unsere Blicke selten in Richtung unseres Schöpfers, wenn wir zornig und ablehnend auf andere herabblicken.
Die Worte des muslimischen Mystikers Rumi: „Komm! Wer immer du auch bist, komm!“ gelten uns als häufig zitierte Zusammenfassung muslimischer Ethik. Schnell nehmen wir beim Thema Diversität aber eine Haltung ein, die sich eher wie „Hau bloß ab!“ anhört.
Es geht in diesem Freitagswort nicht vordergründig um sexuelle Diversität. Es geht vielmehr darum, welche Veränderung unser Verhältnis zu unserem Glauben erfährt, wenn wir irritiert sind, wenn wir in uns selbst den Drang zur Ablehnung und Zurückweisung spüren.
Wir glauben zwar an die Allmacht, an den für uns Menschen unergründlichen Ratschluss unseres Schöpfers.
Wir glauben fest daran, dass Er es am Ende immer besser weiß als wir zu wissen überhaupt in der Lage sind. Wir sind davon überzeugt, dass wir im Vergleich zu Seiner Vollkommenheit so unermesslich weit zurückbleiben. Dass wir irren. Und dass Er uns dereinst im Jenseits über das aufklären wird, worüber wir irren.
Gleichwohl erliegen wir immer wieder und in erstaunlicher Regelmäßigkeit und mit einem hochmütigen Anspruch auf Gewissheit der Überzeugung, im Recht zu sein, gerechtfertigt zu sein, wenn wir uns in wütender Ablehnung, in der Herabwürdigung und Verurteilung anderer Menschen verlieren. Schnell fordern wir dann Eindeutigkeit in einer Welt, die Gott auf unermesslich vielfältige Weise erschaffen hat.
In solchen Momenten können wir uns nicht vorstellen, dass Gott für etwas stehen könnte, das unserer Haltung, unseren Überzeugungen widerspricht. In solchen Momenten befällt uns kein Zweifel, ob unser Empfinden, ob unsere Ablehnung nicht vielleicht doch eine Auflehnung gegen den Willen Gottes bedeuten könnte.
Wir beteuern täglich im Gebet, dass wir nur Ihm dienen. Doch in unserer Wut und Ablehnung gegenüber anderen Menschen erheben wir uns nicht nur über diese, sondern auch über Gott, den wir zum Diener unserer Überzeugung machen. Wir berufen uns auf Ihn, wenn wir andere Menschen abwerten. Wir machen Ihn zum Rechtfertigungsgrund für unsere Verblendung.
Wir befragen uns nicht, ob nicht unser Hass eine Abweichung von Seinem Weg bedeuten könnte. Nein, wir zwingen Ihn an unsere Seite und deuten das, was uns von Ihm überliefert ist ausschließlich dergestalt, dass Er zum Alibi unseres Hasses wird. Wir missbrauchen Seinen Namen als Pfadfinder für unseren Irrweg.
Widersprüche interessieren uns dabei nicht. Beim Thema sexuelle Diversität berufen wir uns auf Seine Strafen gegenüber dem Volk Lots. Wir sind bereit, in die früheste Frühzeit göttlicher Offenbarungen zu blicken, um unsere heutige Ablehnung und Abwertung anderer Menschen durch Ihn zu legitimieren.
Doch Er hat auch die Ägypter hart gestraft. Und zwar gerade dafür, dass der Pharao die „Söhne Israels“ nicht aus der Sklavenarbeit entlassen wollte. Warum kommt keiner von uns heute auf die Idee, sich auf diese Parteinahme Gottes – gegen die Ägypter und für die Juden – zu berufen, wenn es um den Nahostkonflikt geht?
Weil wir uns viel zu häufig gar nicht von Ihm leiten lassen wollen, wenn das dazu führen würde, dass wir unsere Vorurteile hinterfragen und ändern müssen. Stattdessen wollen wir, dass Er uns und unseren Interessen dient, wenn es uns gerade gelegen kommt.
Und wir zitieren Ihn selbst dann noch als Gefolgsmann, wenn wir immer schneller in den Irrtum rennen.
Die Zeichen der Gegenrede, der Kritik, des Widerspruchs, all die negativen Auswirkungen unseres Hasses und unserer Verachtung anderen Menschen gegenüber deuten wir dann nicht etwa als Seinen Hinweis, innezuhalten, nachzudenken und daran zu zweifeln, ob wir recht und gerecht handeln.
Unser Hochmut lässt uns all das vielmehr als weitere Prüfung deuten, als weiteren Auftrag immer weiter zu hassen und immer weiter zu zürnen, um vermeintlich Ihm zu gefallen. Tatsächlich verdrängen wir damit die schmerzliche Möglichkeit, dass wir von Seinem Weg abgekommen sein könnten.
Aus der Glaubenswelt unserer christlichen Glaubensgeschwister kennen wir die rhetorische Frage „Wenn Gott mit uns ist, wer mag wider uns sein?“ als Ausdruck einer tiefen Heilsgewissheit.
Als Muslim:innen müssen wir diesem schönen Satz der Glaubenskraft stets eine weitere Frage hinzufügen, die wir nie nur rhetorisch begreifen dürfen, sondern stets als reale Möglichkeit verinnerlichen müssen: „Mag Gott wider uns sein?“
Nur die Auseinandersetzung mit dieser Frage bewahrt uns davor, uns stets im Recht zu wähnen und damit vor der Hybris, Ihn in den Dienst unseres Irrtums zu stellen. (vgl. 41, 23)