Hoffnung in der Not – Das Gleichnis des Propheten Yussuf (as)

Sieben bis zehn Jahre nach der ersten Herabsendung des Korans durchlebten die Muslime in Mekka ihre schwierigste Zeit. Die Mekkaner belegten den Stamm des Propheten mit einem Boykott, der es allen anderen Stämmen verbot, mit dem Stamm der Banu Haschim zu handeln. Auch Nahrung gehörte zu den Gütern, die die Verwandten des Propheten nicht erreichen durften, weil sie ihn nicht an seine Gegner auslieferten. Not und Qual wurden in diesen drei Jahren zur Regel für die Muslime. Entweder saßen sie innerhalb der Blockade fest, oder sie gehörten zwar nicht zum Stamm der Banu Haschim, verausgabten sich aber in dem Versuch, im Geheimen die hungernden und leidenden Menschen zu unterstützen.

Den Prophet traf das Jahr 10 besonders hart. Er verlor zwei für ihn wichtige Menschen auf dem Totenbett. Sein Onkel Abu Talip war ihm eine große Unterstützung, seit er mit dem neuen Glauben in die Öffentlichkeit gegangen war. Er hielt als Stammesführer seine schützende Hand über ihn und war nicht bereit, egal welchen Preis man ihm anbot, seinen Neffen an die feindlich gestimmten Mekkaner auszuliefern. Noch versuchte er, seinen Neffen von dessen Glauben abzubringen.

Wenige Tage nach dem Tod seines Onkels verlor der Prophet auch seine geliebte Frau Chadidscha bint Chuwailid. Sie war die erste Person gewesen, die an ihn, an den von ihm gepredigten Islam geglaubt hatte. Sie war es auch, die ihn gegen die Ablehnung und Anfeindung mancher mekkanischer Führer, bedingungslos unterstützte.

Die Blockade, der Verlust von Abu Talip und Chadidscha, sie erschütterten den Propheten, aber auch seine Gemeinschaft. Als “Jahr der Trauer” sollte später dieses Jahr in die Geschichte eingehen. Die Unterdrückung der Mekkaner nahm in dieser Zeit zu. Die physische und mentale Kraft der Gläubigen wurde damit noch mehr in Mitleidenschaft gezogen.

Die Herabsendung der Sure Yussuf war eine Antwort auf diese Zeit der Enge und der Entbehrung. Sie gab dem Propheten und seinen Gefährten Trost, sie gab ihnen Hoffnung. Mit dem Gleichnis vom Propheten Yussuf (Joseph), dem Sohn von Jakob, dem Vater der Israeliten, erzählt der Koran die Geschichte des Neiders und des Beneideten, des Herren und des Dieners, dem Zeugen und dem Bezeugten, der Liebenden und dem Geliebten, vom Überfluss und vom Mangel, von der Sünde und der Vergebung, von Emotionen und der Vernunft.

Yussuf (as) erfährt in dem Gleichnis Verrat, Verlust, falsche Beschuldigungen, Neid und Unrecht. Doch keines der Erfahrungen treibt ihn in die Ohnmacht, er begegnet ihnen nicht mit Verzweiflung. Es gibt keine Prüfung ohne Ausweg, keine Rückschlag ohne eine neue Zukunftsperspektive. Yussuf begegnet diesen Prüfungen mit Hoffnung, mit Geduld und mit Vernunft. Selbst als er unschuldig eingekerkert wird, ist für ihn Gewalt keine Option. Selbst im Moment der größten Zurückweisung setzt er sich für seine Mitmenschen ein, gibt ihnen von seiner Willensstärke, seiner Hoffnung und seiner Vernunft.

Bemerkenswert ist dabei seine Aussage, nachdem seine Unschuld endlich bewiesen ist und er den Kerker verlassen darf. Für jeden von uns wäre dies zweifellos ein Moment des Triumphs, eine Möglichkeit uns auch mit einer Portion Selbstgefälligkeit über andere Menschen zu erheben und den anderen vielleicht sogar in seiner Menschlichkeit zu entwerten. Der Prophet Yussuf verweist dagegen auf seine Fehlbarkeit als Mensch und der notwendigen Demut vor der Barmherzigkeit des Herrn:

Doch ich will mich nicht selber reinwaschen. Seht, der Mensch ist zum Bösen geneigt, es sei denn, dass mein Herr Sich seiner erbarmt. Mein Herr ist fürwahr verzeihend und barmherzig.” (12:53)

Die Lehre aus dem Gleichnis des Propheten Yussuf spiegelt sich im Leben des Propheten und seiner Gefährten wieder. Sie lassen sich trotz all der zu erduldenden Strapazen und der Qual nicht zu Kurzschlussreaktionen oder Verzweiflungstaten hinreißen. Sie begegnen ihrer temporären Ohnmacht nicht mit Terror gegenüber ihren Mitmenschen. Trotz all der erfahrenen Ablehnung schaffen sie es, ihre Positivität aufrecht zu erhalten, zum Guten zu rufen und auch im Geiste des Guten zu handeln. Sie antworten der Gewalt, die sie von den anderen Mekkanern erfahren, nicht mit Gewalt, sondern mit Geduld, Hoffnung und einem nicht endenden Einsatz für ihre Mitmenschen.

Ihr beharren darauf, Gutes zu sprechen und Gutes zu tun, hat letztendlich selbst das Herz ihrer verbitterten Gegner ein Stück weit erweichen lassen. Der Boykott wurde beendet. Gleichzeitig veränderte sich bei vielen der Blick auf die Muslime, die selbst unter schwierigsten Bedingungen nicht bereit waren, ihre Menschlichkeit und ihren Einsatz für ihre Mitmenschen aufzugeben oder ihren Glauben und ihre Hoffnung gegen Wut, Zorn und Vergeltung einzutauschen. Ihre Geduld war der Schlüssel zur Erlösung, ihre Vernunft der Sieg über den Hass.