Der Ramadan ist anders. Er riecht anders, er schmeckt anders, er fühlt sich anders an. Das Fasten in diesem Monat zügelt zwar den Verzehr, er schärft dafür die Sinne. Schon nach zwei oder drei Fastentagen ändert sich die Wahrnehmung der Umwelt. Sie wird bewusster gesehen, gerochen, gefühlt, geschmeckt.
Es ändert sich der Tagesablauf. Dabei ist es nicht einmal der Wegfall von Mahlzeiten über den Tag, der die Veränderung bringt. Es ist das Aufrechterhalten eines Bewusstseins, eines andauerndes gottesdienstliches Rituals, einer Ibadah. Im Prinzip sind die Muslime während des Fastens in einem anhaltenden spirituellen Zustand. Stetig ist die Erinnerung, das Gedenken an ihren Schöpfer präsent.
Die stetige Erinnerung und das Gedenken an Allah lässt den Menschen bewusster werden. Bewusster gegenüber seinen Mitmenschen, seiner Umwelt. Das Fasten ist mehr als der Verzicht auf Speise und Trank. Es geht einher mit dem Verzicht auf üble Nachrede, auf Beleidigungen, auf die bereits verbale Verletzung anderer. Alles Handlungen, die auch außerhalb des Ramadans verpönt sind. Schnell merkt der Fastende, dass das Fasten die Einhaltung dieser Gebote wesentlich erleichtert. Das Zügeln von Bedürfnissen wirkt sich auch auf den Umgang mit anderen Menschen aus.
Das Fasten im Ramadan bleibt nicht mit dem Hungern in Erinnerung. Es ist eine Ruhe, sich selbst und dem eigenen Umfeld gegenüber, der den Fastenden in Erinnerung bleibt. Der Ramadan nimmt für Muslime einen Zustand vorweg, der ihnen von Allah teala als die Vervollkommenung ihres Glaubens in Aussicht gestellt wird.
“O du Seele voll Ruhe,
Kehre zu deinem Herrn zurück, zufrieden und (Ihn) zufriedenstellend,
Und tritt ein unter Meine Diener,
Und tritt ein in Mein Paradies!” (89:27-30)
Der herabgesandte Koran und die erste Gemeinde machen eine interessante Entwicklung über den gesamten Zeitraum der Verkündung des Islams durch. Zu Beginn sind es paradiesische Zustände, die den Gläubigen im Jenseits versprochen werden. Ein Leben ohne Mangel, die Befriedigung aller Bedürfnisse. Der noch junge Glaube der ersten Gefährten scheint dies zu brauchen. Er war eine große Herausforderung für Menschen, für die ihre spirituelle Welt aus figürlichen Gottheiten bestand und kaum eine Vorstellung von einem Jenseits, von einem sich verantworten müssen für die diesseitigen Handlungen kannte.
Nach über 20 Jahren der Herabsendung des Korans war der Glaube der Gefährten gewachsen, gefestigt. Sie fragten nicht nach Bächen im Paradies, Früchten und Belohnungen. Der Islam gab ihnen Zufriedenheit, eine ruhende Seele, ein inneres Gleichgewicht. Ihre Beziehung zu Gott beruhte nicht auf Belohnung und Bestrafung. Nicht der Wunsch nach dem Paradies oder die Furcht vor dem Höllenfeuer war für sie bestimmend. Bei ihrer Rückkehr wollten sie zufrieden mit Allah sein, ihn zufriedenstellen. Diese Zufriedenheit zeigte sich in der Seelenruhe, einem Zustand des Friedens mit sich, mit der eigenen Umwelt und dem Schöpfer der Welten.
Der Ramadan, mit all seinen besonderen Ritualen, dem Fasten, der Beschäftigung mit dem Koran, seinen Gebeten, gibt den Gläubigen einen Vorgeschmack auf diesen Zustand. Das ist der Nektar, der die Erwartungen der Glaubenden im Vorfeld speist, den sie in dem Monat kosten und dem sie in der Zeit danach mit Sehnsucht nachtrauern.