Eine Moschee, nicht ein Kulturinstitut

Ein Gastbeitrag von Dr. Ali Ghandour

Als die ersten Muslime nach Syrien oder dem Irak kamen und dort die ersten Grundstrukturen eines muslimischen Lebens etablierten, kam keiner auf die Idee, eine Moschee wie sie sie aus Medina kannten, zu bauen. Vorbild für die neu errichteten Moscheen war immer die lokale Architektur. Man braucht nur einen Blick auf eine alte Moschee in Syrien zu werfen, um frappante Ähnlichkeiten mit der römischen und byzantinischen Baukunst festzustellen oder den Turm der Samarra-Moschee im heutigen Irak zu betrachten, um darin Besonderheiten der mesopotamischen Architektur zu entdecken. Viele Moscheen in China kann man von buddhistischen oder taoistischen Tempeln nur wegen arabischer Kalligraphien unterscheiden. Eigentlich war die lokale Architektur und Baukunst immer für die Muslime Grundlage und Maßstab für ihre Moscheen. Aus diesem Grund gibt es zahlreiche Moscheeformen, die sich von Ort zu Ort und von Epoche zu Epoche unterscheiden. Genauer gesagt, Moscheen wurden immer im Hier und Jetzt gebaut.

Wenn man sich allerdings die meisten Moscheen in Europa betrachtet, dann stellt man fest, dass sie genau der Architektur der Länder entsprechen, aus welchen die Gemeindemitglieder vorrangig stammen. Warum ist dieses Phänomen nur bei Muslimen im 20. und 21. Jh. aufgetreten? Warum sind die Muslime früher nicht auf die Idee gekommen, die Architektur von weit entfernten Orten eins zu eins zu übertragen? Auch wenn es aus unserer Sicht heute nicht so toll ist, wissen wir, dass die ersten Muslime Bausteine von pharaonischen Tempeln in Ägypten oder römischen Gebäuden in Nordafrika für den Bau von Moscheen benutzten. Sie taten sich keinen Zwang an, das lokal vorhandene Baumaterial zu verwenden.

Vieles, was man heute fälschlicherweise islamische Architektur nennt, ist ursprünglich nichts anderes als griechische, römische und persische Architektur, die an die Bedürfnisse von Muslimen angepasst wurde und dadurch eine weitere Entwicklung erlebt hat. Man wird kaum in den muslimisch geprägten Ländern auf eine Moschee treffen, die vor dem 20. Jh. gebaut wurde und nicht zum gesammten Stadtbild passt. Und wenn sie sehr alt ist, dann paßte sie zumindest in der Zeit ihrer Gründung in das damalige Stadtbild. Man hatte damals nicht die absurde Idee, durch die Architektur einer Moschee eine konstruierte nationale Identität zu bewahren oder die Zugehörigkeit zu einem weit entlegenen Ort auszudrücken.

Es gibt in der Tat einen Ort an dem man alte Architektur, Ornamente und Kalligraphien aus fernen Ländern und aus vergangenen Zeiten bewundern kann. Solch einen Ort nennt man ein Museum. Natürlich muss eine Moschee schön und einladend sein. Aber schön darf hier nicht mit einem statischen Verständnis der Ästhetik verwechselt werden, weil das, was an einem Ort als schön und heimisch betrachtet wird, woanders als fremd und unverständlich wirken kann.

Darüberhinaus erfüllten die meisten Elemente früherer Moscheen nicht nur ästhetische, sondern vor allem praktische Zwecke. Eine Kuppel, eine hohe Kanzel, ein Minarett waren unabdingbar für die Akustik, was in Zeiten von Mikrofon, Beamer und Gebetszeiten-Apps obsolet geworden ist. Nicht nur das, sondern die meisten Moscheen hier wurden durch das moderne Phänomen von separaten Räumen für die Frauen pervertiert. Komischerweise ist in diesen Räumen keine Ästhetik aus früheren Zeiten vorhanden. Vielleicht deswegen, weil es früher gar keine separaten Frauenräume gab, aus welchen man etwas hätte importieren können. Frauen haben im gleichen Raum hinten gebetet und konnten dem Imam oder dem Lehrer in der Moschee direkt ins Gesicht schauen. Eine weitere Pervertierung ist der Flaggenkult, als ob Gott eine Flagge hätte. Was wollen Muslime mit einer Flagge eines Nationalstaates in einem Gotteshaus auf deutschem Boden ausdrücken? Welchen religiösen und spirituellen Zweck erfüllt solch eine Flagge? Ich meine, in einer Moschee geht es doch um Gott und Seinen Propheten, oder? Wozu “Gott ist größer” mehrmals am Tag an diesem Ort rufen, wenn Götzen wie der Nationalismus dort gefeiert werden.

Muslime sollen sich die ernsthafte Frage stellen, welche Signale man mit Moscheen sendet, die sich erstens stark von den hiesigen Gebäuden unterscheiden und zweitens inwieweit es Sinn macht, auf Elementen, die keinen praktischen Mehrwert mehr haben, zu beharren. Welche Wirkung hätten Moscheen, die nach der postmodernen Architektur oder nach der Architektur des Dekonstruktivismus, des Art Deco, des Minimalismus, der High Tech Architektur oder im Bauhausstil gebaut sind oder – in kleineren Ortschaften – im Fachwerkhaus-Stil? Was würden die hiesigen Muslime damit verlieren? Nichts. Genauso haben die Sahaba des Propheten und frühe Muslime nichts verloren, als sie Moscheen nach byzantinischem Stil errichteten. Mit Sicherheit hätte man zahlreiche unnötige Debatten um Moscheebau, Minarette etc. vermeiden können.

Der Muslim ist kein Identitärer, sondern ihm geht es um einen Platz, an dem er beten kann und um einen Platz, der einladend auf alle Menschen wirkt. Ist eine bestimmte Architektur oder ein bestimmtes Element des Gebäudes eine Wand und Hindernis zwischen uns Muslimen und anderen, dann nieder mit dieser Wand. Man könnte die Frage stellen: aber wieviel will man von sich selbst oder vom “Islam” aufgeben? Darauf ist zu erwidern, dass es hier um Elemente geht, die keineswegs zum Glauben und zur Glaubenspraxis gehören, sondern um Elemente, die immer von der Zeit, vom Ort, von der Funktion und Wirkung abhängig waren. Denn schließlich ist Gott kein Baubehörden-Beamter.