Unsere Leute?

Wer sind wir? Oder genauer gefragt: Wer sind „Wir“?

Für uns Muslime, die in der hiesigen Gesellschaft als Minderheit gelten, liegt in dieser Frage eine Gelegenheit und ein Hindernis zugleich.

Die Gelegenheit, durch die Definition gemeinsamer muslimischer Interessen gesellschaftlich Gehör zu finden. Oder strukturelle Benachteiligungen sichtbar werden zu lassen. Muslime bewegen sich dann als Bürger in dieser Gesellschaft, haben an ihr teil und versuchen sie aus der eigenen muslimischen Perspektive zu verbessern – zum Wohle aller.

Aber auch das Hindernis, sich mit allen Muslimen in einer abgeschotteten, dieser Gesellschaft trotzenden Wagenburg zu wähnen. Was Muslime dann umgibt, ist kein Zuhause, sondern fremdes Land, ja vielleicht sogar Feindesland, in dem das Überleben nur möglich ist, wenn alle Nichtmuslime als Gegner und alle Muslime als Verbündete verstanden werden.

Letzteres ist ein vergiftetes Denken. Denn es konzentriert sich nur auf die Frage, was jemand ist. Nicht, wie sich jemand verhält. Das Unrecht kann dann zum Recht werden, nur weil es von jemandem begangen wird, den wir als Muslimin oder als Muslim wahrnehmen.

Als Muslime sind wir aber dazu berufen, in der Verrichtung guter Taten zu wetteifern. Der Gehalt unserer Rechtschaffenheit bemisst sich nicht nach dem Wesen unseres Glaubens oder nach dem Inhalt unseres Glaubensbekenntnisses.

Als Muslime sind wir dazu berufen, gerecht zu handeln und die Wahrheit zu sagen, selbst wenn sie uns oder unseren Angehörigen zum Nachteil gereicht und uns Schaden verursacht.

Das Kollektiv, in das uns unser Glaube eingliedern will, ist also nicht bloß eine „Gemeinschaft der Muslime“, sondern die Gemeinschaft mit allen Menschen. Als Muslime schulden wir allen Menschen gegenüber Wahrheit, Mitgefühl, Unterstützung und Rechtschaffenheit.

Ob dieser Glaube in das Herz eines Menschen gedrungen ist und es erfüllt hat, entscheidet sich nicht an der Frage, ob dieser Mensch sich zum Islam bekennt. Ob dieses Bekenntnis sich in seinem Handeln auswirkt, ist die entscheidende Frage. Dann und nur dann kann eine Gemeinschaft der Muslime zum Wohle einer Gemeinschaft aller Menschen wirken.

Die Grenze verläuft also nicht zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, sondern zwischen Menschen, die bereit sind, zum Wohle aller Menschen gerecht zu handeln und solchen Menschen, die aus Eigensucht nicht dazu bereit sind.

Menschen, die bereit sind, zum Wohle aller Menschen gerecht zu handeln, sind „unsere Leute“. Mit ihnen bilden wir ein „Wir“ – egal ob und woran sie glauben.

Menschen, die nicht dazu bereit sind und anderen Menschen gegenüber ungerecht und ausgrenzend und abwertend handeln, werden nicht zu „unseren Leuten“, nur weil sie einen ähnlichen Namen haben, eine gemeinsame Sprache sprechen oder im Gebet neben uns stehen. Da gibt es kein „Wir“, aus dem Segen erwächst. Dort wird das „Wir“ zur Komplizenschaft im Unrecht.