Wie du wirklich um Vergebung bittest und deine Taten bereust

Ein Gastbeitrag von Akif Sahin

Wir saßen damals in einem Shisha-Café und der junge Mann erzählte schließlich, wieso er sich von seiner Freundin, die eigentlich in ein paar Wochen seine Frau werden sollte, getrennt hat. Er wurde betrogen. Seine Freundin hatte etwas mit einem Anderen und gleichzeitig war er der “Dumme”, der ihren Lebensstil die ganzen Jahre über finanziert hatte. Sie dankte es ihm, in dem sie mit einem Typen ins Bett stieg. Die Trennung war endgültig, zu retten gab es da nichts.

Jahre später rief er mich an und bat mich um einen Termin. Er brachte seine Ehefrau mit und der Termin wurde zu einer Paarberatung. Er hatte den Schmerz und den Vertrauensverlust von damals immer noch nicht überwunden. Seine Frau litt darunter, weil er einfach eifersüchtig und süchtig nach Kontrolle war. Immer wieder begab er sich in Therapie und fiel letztlich wieder in alte Verhaltensmuster zurück. Seine letzte Hoffnung: “Akif abi, kannst du nicht irgendwas aus dem Quran lesen, damit es mir besser geht?”

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Vor mir steht ein gebrochener Mann. Er hat seine Frau hintergangen, wollte sie sogar für eine jüngere Frau verlassen. Der Ehebruch hat stattgefunden. Doch die Frau ließ das nicht einfach so mit sich machen. Sie fand die jüngere, beschämte sie vor allen Menschen und zwang ihren Ehemann, sich von ihr zu trennen. Doch damit nicht genug, der Ehemann war danach nur noch unter ihren Fittichen. Bis heute sagt er, er bereue seine Tat. Wirklich glauben tut das keiner. Auch seine Frau nicht.

Bei unserem letzten Treffen fragte ich ihn, weil er schon wieder von Reue sprach: “Was hast du eigentlich getan, damit dir verziehen wird? Glaubst du wirklich, dass deine Frau dir verziehen hat?” Tatsächlich war er perplex. Nein, sie hatte ihm noch immer nicht wirklich verziehen und schon beim kleinsten Stress kam das Thema wieder auf und ihm wurden Vorwürfe gemacht. Ich lächelte und erklärte ihm: “Solange du in der Vergangenheit lebst, wird das auch so weiter gehen. Du musst was tun!”

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Im Gefängnis ist jeder lammfromm. Dieser junge Mensch hat Tränen in den Augen und will nur noch raus aus dem Knast. Die anderen Insassen machen ihm das Leben schwer. Die Rede ist von Missbrauch und Gewalt. Er ist nicht bereit, dieses Schicksal weiter zu ertragen. Er fleht mich an: “Akif abi, bitte. Niemand hilft mir, niemand hört mir zu. Ich breche hier zusammen. Alles ist besser, als hier drin zu sein. Selbst der Tod macht mir keine Angst. Ich bitte dich um Allahs willen, kannst du nicht irgendwas machen?”

Hinterher bereut man seine Verbrechen. Aber auch nur dann, wenn man erwischt wird. Bis zu diesem Tag hat der junge Mann vor mir mehrere Geschäfte mit Schusswaffen ausgeraubt, Menschen mit Baseballschlägern und Totschlägern verprügelt und sich vor der Polizei erfolgreich versteckt. Beim letzten Mal, nach einer Serie von insgesamt 16 Straftaten, wurde er geschnappt. Es ist ein Höflichkeitsbesuch für einen Vertreter der Jugendhilfe. Der junge Mann ist in U-Haft. Die Prognose ist nicht gut. Mein Freund will wissen, ob die Einschätzung richtig ist.

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Er hat sie abgrundtief geliebt. Wäre sie nicht in sein Leben getreten, er hätte vermutlich nicht mehr die Kurve gekriegt. Drei Jahre lang waren sie liiert. Sie haben alles gemeinsam erlebt und er wollte sie so lieben, wie sie es verdiente. Doch dann kam die Frage, die sich alle stellen: Funktioniert das? Kann das funktionieren? Ihre gemeinsame Antwort war: Nein. Ihre Familien waren zu unterschiedlich, sie kamen aus verschiedenen Welten und am Ende war die Trennung die bessere Lösung, als sich gegen die eigenen Familien, die einer solchen Ehe niemals ihren Segen geben würden, zu stellen.

Sie hasste ihn. Sie warf ihm später vor, er habe sie mental missbraucht. Er habe die Situation ausgenutzt und sei ein misogynes Arschloch. Er liebte sie trotzdem. Und obwohl beide schon selbst in einer Ehe glücklich waren, hing er den wenigen Tagen, die sie gemeinsam verbracht hatten, immer nach. Sie versuchte ihn zu vergessen, schaffte es aber nie. Manchmal suchten sie sich gegenseitig im Internet. Sie liefen sich sogar mal über den Weg, ohne dass sie sich gegenseitig erkannten. Mittlerweile waren Jahre und Jahrzehnte vergangen. Sie waren verliebt gewesen, und eine solche Liebe empfanden sie nie wieder. Für niemanden.

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Als mich meine Schüler einmal im Islam-Unterricht fragten, was Vergebung eigentlich bedeutet, erklärte ich ihnen, dass es zunächst einmal einer Sünde bedürfe. Diese Sünde könne gegen sich selbst, die Allgemeinheit, eine andere Person, einem anderen Wesen oder sogar gegenüber Gott selbst begangen werden. Wenn man eine Sünde gegenüber Gott verübt, dann kann auch nur Gott allein diese Sünde vergeben. Wenn man sich an anderen Wesen oder Personen versündigt, dann können nur diese einem Vergeben.

Komplizierter wird es bei der Sünde gegen die Allgemeinheit. Wer z. B. Steuern hinterzieht oder die Zakat nicht zahlt, versündigt sich an der Allgemeinheit. Vergebung ist hier schwierig bis gar nicht umsetzbar. Man könnte höchstens versuchen, bei Allah um Vergebung zu bitten. Doch eine solche Sünde ist nur schwer aufzuwiegen. Deshalb sollte man sich immer der Gefahr einer solchen Sünde bewusst sein. Die Allgemeinheit kann nicht vergeben.

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Wer gegen sich selbst hingegen sündigt, der wird seines Lebens nicht froh. Menschen brauchen eigene und selbstgesetzte Grenzen. Wenn man sich dieser Grenzen nicht gewahr ist, dann kann es passieren, dass man sich selbst ins Unglück stürzt. Das bedeutet auch, einen Kodex zu haben, so wie die Ronin. Sich an diese Regeln im Leben zu halten und nur dann von diesen Regeln Abstand zu nehmen, wenn es unbedingt notwendig ist, um Andere z. B. zu schützen.

Tatsächlich ist aber jede Sünde eine Sünde gegen sich selbst. Wenn man als Mensch etwas Schlimmes tut, dann verändert man sich. Man wählt einen dunklen Pfad, einen Weg, der einen selbst zu einem schlechten Menschen macht. Daher ist jede Sünde auch fast immer eine Sünde an sich selbst. Hier muss man deshalb auch Buße tun. Man bittet die Menschen, die man verletzt hat, um Verzeihung. Man bittet Allah um Vergebung. Und man versucht, diese schlimme Tat nie wieder zu tun.

Wer eine Sünde begangen hat, muss aufrichtige Reue zeigen, sowohl in seinem Herzen als auch in seinen Taten. Wer eine Sünde begangen hat, der muss gute Taten tätigen, denn die guten Taten löschen die schlechten Taten aus. Das Gebet darf dabei nicht vernachlässigt werden. Und wer Vergebung erlangen möchte, muss sich ändern. Ein „weiter so“ kann es nach einer Sünde nicht geben, wenn man Vergebung erhalten möchte.

“Und verrichte das Gebet an beiden Enden des Tages und in Stunden der Nacht. Die guten Taten lassen die bösen Taten vergehen. Das ist eine Ermahnung für diejenigen, die (Allahs) gedenken.” (Sura Hud, Vers 114)

Manchmal ist aber die Vergebung nicht so einfach. Viele Menschen können sich selbst nicht vergeben. Sie glauben, dass sie ihr Leben verwirkt haben und hoffen auf andere, die ihnen die Absolution erteilen. Viele Menschen können sich auch nicht aufrichtig entschuldigen. Obwohl sie tief in ihrem Inneren wissen, dass sie im Unrecht sind, versuchen sie weiterhin so zu tun, als seien sie im Recht. Vergebung erlangt man aber nicht, indem man weiterhin stur behauptet, man sei im Recht gewesen oder es hätte gute Gründe für die Sünde gegeben.

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Ich las natürlich nichts aus dem Quran vor. Scharlatane geben immer wieder vor, der Böse Blick habe einen Menschen ereilt. Sie wollen Geld und lesen dafür irgendwelche belanglosen Dinge vor oder erfinden irgendwelche Heilwirkungen. Bis heute hält sich bei vielen Muslim*innen die Ansicht, dass es Heiler gibt, die unbedingt aufgesucht werden müssen, damit sie helfen können. Der Quran kann heilend sein und die Gesundheit kann auch gestärkt werden, doch oft verwechseln viele Menschen die Dinge.

In dem oben geschilderten Fall habe ich eine Psychologin und Paartherapeutin gebeten zu helfen. Es liegt ein Problem im Vertrauensverhältnis vor. Das liegt weniger an der Frau, als am Mann. Er hat eine tiefe Verletzung seiner Seele erlitten und ist weiterhin nicht darüber hinweggekommen. Er muss sich selbst und der Person, die ihm diese schreckliche Geschichte angetan hat, verzeihen. Nur so wird er endlich Frieden finden.

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Der Ehebrecher hat vieles getan, was man ihm gesagt hat. Er hat immer alles getan, was seine Frau ihm gesagt hat und danach ist es auch zu keinem anderen Problem gekommen. Was er jedoch nicht getan hat, ist sich zu ändern. Er würde, bei der kleinsten Gelegenheit, wieder seine Frau betrügen, wenn er könnte. Seine Reue ist nur öffentlich und gespielt. Jeder Mann kennt das. Wenn man erwischt wird, tut man so, als hätte man sich geändert.

Wer wirklich Reue zeigen möchte, nachdem er eine solche schlimme Tat begangen hat, der muss sein Leben ändern, der muss daran arbeiten, seine Ehe aufzufrischen und vor allem darf sein Verhältnis zum Gebet und zu guten Taten keine Lücke aufweisen. Dieser Weg führt vielleicht dazu, dass die gehörnte Ehefrau einem vergibt. Sicher ist das jedoch nicht. Es wäre aber der erste Weg, den man gehen müsste, damit man Vergebung erlangt.

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Für den Verbrecher, der im Knast sitzt, gibt es kaum eine Lösung. Die Furcht und die Reue sind nicht gespielt. Sie sind aber Ausdruck einer Angst, die sich erst nach der Verhaftung abspielt. Vorher hat man sich darüber keine Gedanken gemacht. Das gestohlene Geld war wichtiger als der Verlust der bestohlenen Menschen. Das Adrenalin war euphorisierender als das spritzende Blut von Opfern, die sich auf dem Boden nicht mehr wehren konnten und Folgeschäden der Angriffe erlitten haben.

Reue ist in diesem Fall nicht das Problem. Die Frage ist, was wird dieser Mensch vor mir tun, wenn er den Knast verlassen dürfte? Ich habe diese Frage gestellt. Der junge Mann antwortete, dass er die Stadt verlassen und irgendwo anders neu anfangen würde. Er würde sich von seiner Familie fernhalten und von seinen “Freunden”. Er würde auswandern, wie er es im Islam-Unterricht gehört hat. Er würde auch Wiedergutmachung versuchen. Die Prognose war ungünstig.

Die Jugendhilfe plädierte, nachdem ich meine Einschätzung mitgegeben habe, auf Bewährung, allerdings mit starken Verpflichtungen. Dazu gehörte, dass der junge Mann eine Ausbildung anfängt, Anti-Agressionstrainings besucht und den Kontakt zu seinen alten Freunden komplett abbricht. Das Gericht gab ihm schließlich fünf Jahre. Er wurde im Anschluss abgeschoben. In der Türkei fing er von vorne an. Das im Knast angesparte Geld war wichtig für seinen Neustart. Die Ausbildung im Knast zum Maler half ihm auch weiter. In weiteren Treffen sagte er: Es sei nicht mehr schlimm. Er büße für seine Taten und die Seelsorge, die einmal im Monat vorbeischaue, gebe ihm Kraft.

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Und für die letzte Erzählung. Für das gebrochene Herz gibt es leider keine Vergebung. Wer einem Menschen so sehr wehgetan hat, dass dieser Mensch einen hasst, sollte sich zurückziehen und sich so viel Mühe wie möglich geben, diesen Menschen zu vergessen. Wer liebt, der wünscht dem Menschen gegenüber auch nur das Beste. In diesem Fall kann man nur wünschen, dass man vergessen wird. Das wirklich gebrochene Herz kann man nicht heilen.

Nicht in allen Fällen kann man Buße tun. Für viele Dinge schon. Die Frage ist aber auch immer, ob man es wirklich möchte und wirklich realisiert hat, was man eigentlich falsch gemacht hat. Wer sich der ganzen Sache bewusst ist, der wird auch bestimmt die Möglichkeiten finden, seine Fehler zu korrigieren oder zumindest andere Dinge zu tun, die helfen, das Leid, das man verursacht hat, zu lindern.