Gott will für euch das Leichte und nicht das Schwere

Ein Gastbeitrag von Dr. Ali Ghandour

Hin und wieder beobachte ich, wie manche Muslime die Vorstellung haben, dass je schwieriger und mühsamer ein Islamverständnis ist, desto korrekter sei es. Mit so einer Vorstellung entsteht beinahe eine Psychose und man wird ständig von der Angst verfolgt etwas Falsches zu machen.

Diese Einstellung steht allerdings im Widerspruch zu der prophetischen Botschaft. Im Koran lesen wir: „Gott will für euch das Leichte und nicht das Schwere“ (2:185) oder „Gott will euch keine Belästigung aufbürden“(5:6), sowie „Er hat euch keinerlei Beengung im Gottesdienst auferlegt.“(22:78). Diese Stellen und andere besagen, dass Gott mit seiner Kunde das Leben der Menschen nicht schwer machen möchte, sondern im Gegenteil.

Schaut man sich das prophetische Wirken an, dann stellt man fest, dass seine Botschaft unbefangen in das Leben von unterschiedlichen Menschen integriert wurde. Der Gesandte Gottes, salla allahu alayhi wa sallam, kam auch nicht, um das Alltagsleben seiner Anhänger radikal zu verändern. Er hat seine Gefährten auch nicht ständig belehrt.

Ibn Masʿūd tradierte diesbezüglich: „Der Gesandte Gottes, salla allahu alayhi wa sallam, hat von Zeit zu Zeit uns eine Ermahnung ans Herz gelegt, und zwar aus Angst, dass wir uns langweilen.“ Heute würde man sagen, der Prophet salla allahu alayhi wa sallam wollte seine Gefährten nicht stressen. Vom Gesandten Gottes kommt auch die Aussage:„Dīn ist Leichtigkeit“. Dīn lässt sich hier als die Gehorsamsform, bzw. als die gesamte Beziehung mit und zu Gott übersetzen. In einer anderen Überlieferung sagte der Gesandte Gottes: „Die beste Art Gott zu dienen ist die Leichteste.“

Heutzutage werden diese Prinzipien, die zum Kern der prophetischen Botschaften gehören, ignoriert. Stattdessen wird über jede Kleinigkeit weiter geforscht, sodass die Beziehung zu Gott und somit die Beziehung zu der Welt eine sekundäre Angelegenheit werden. In dieser Denkweise spielt eher die Erhaltung einer bestimmten Lehre und nicht die Verwirklichung des Menschseins die Grundlage des Glaubens und der Glaubenspraxis. Diese Einstellung wird leider auch von manchen Gelehrten heute noch gefördert. Anstatt dass sie den Menschen aus der Breite der Tradition und Interpretationen leichte Lösungen für ihre Fragen und Angelegenheiten geben, bedrohen sie die Leute damit, dass sie bloß nicht diese oder jene Lehre verlassen dürfen , als ob es den Segen und die Gnade Gottes nur in einer bestimmten Auffassung oder Denkschule gäbe.

Die verklemmte Art, die Beziehung zu Gott so zu verstehen, dass man denkt, gläubig ist nur der, der eine gekünstelte Ernsthaftigkeit vorspielt, wirkt als unnatürliches Verhalten der Person. Darüber hinaus verlangte der Prophet, salla allahu alayhi wa sallam, nicht von jedem das Gleiche. Schon in der Zeit des Propheten gab es eine große Vielfalt unter den Menschen. Nicht alle Anhänger des Auserkorenen waren gleich. Die meisten davon waren normale einfache Menschen, die genauso wie wir heute mit ihrem Alltag beschäftigt waren.

Wir lesen in der Prophetenbiografie, dass Menschen aus fernen Ecken der arabischen Halbinsel zu ihm kamen, kurz in den Grundlagen seiner Botschaft unterrichtet wurden und wieder gingen. Danach haben jene den Propheten nie mehr gesehen. Diese Menschen haben ihr Leben weitergeführt, wie sie es vorher gelebt haben, und haben die Botschaft des Propheten in einer natürlichen Weise in ihr Leben integriert.

Aus einer prophetischen Botschaft, die unterschiedliche Auslegungen und Verwirklichungen erlaubt, haben manche heute eine Grundlage gemacht, die das Leben der Menschen erschwert. Die Vorstellung, die heute manche Muslime von der Scharia als die Gesamtheit der göttlichen und prophetischen Kunde haben, gleicht dem Spiel „Boden ist Lava“, egal wo man hineintritt, lauert die Gefahr, sich zu verbrennen und etwas Falsches zu machen.