Nicht die Anderen sind arm, nicht wir reich

“Die Armen erben das Land. Der Reiche, der die Bettlerschale übersieht, der Lästerworte redet wider die Armen, ist verroht und verstockt. Auch wenn die reichen viel auf Manieren und Etikette geben, eine feine Seele haben sie nicht.” Mit diesen und anderen drastischen Worten hatte Feridun Zaimoglu den Bachmannpreis in Klagenfurt eröffnet. Worte, gesprochen im Sommer, schon zu der Zeit schneiden sie ins Fleisch, erst recht jetzt an diesen kalten Tagen. Zu häufig begegnen wir Menschen auf der Straße, die die Hand öffnen müssen, um über die Runden zu kommen. Und schroff zurückgewiesen werden.

Die Worte erinnern an eine Mahnung in der Sura Maun:

“Hast du den gesehen, der das (Letzte) Gericht leugnet? Er ist es, der die Waise wegstößt und nicht zur Speisung des Armen anspornt.” (107:1-3)

Es ist nicht die einzige Stelle im Koran, der den Umgang mit Bedürftigen zu einer Frage des rechten Glaubens erklärt. Dabei wird nicht dazu aufgerufen, ihnen einfach nur etwas von dem Eigenen abzugeben. Nein, der Bedürftige hat einen Anspruch auf diese Unterstützung.

“Und von ihrem Vermögen war ein Teil für den Bittenden und den verschämten Armen.” (51:19)

Dem Bedürftigen steht von den Schätzen des irdischen Lebens etwas zu, weil er Mensch ist, weil er zur Schöpfung Allahs gehört. Allah ist der “Malik-al-mulk”, der Inhaber aller Reichtümer. Alles im Himmel und der Erde gehört ihm und wir geben untereinander nur seine Reichtümer aneinander weiter. Der Geiz ist dann nicht einfach nur eine Verfehlung, er ist auch ein Vorenthalten des Rechts des Anderem an den Gaben Allahs.

“Und diejenigen, die mit dem knauserig sind, was Allah in Seiner Huld ihnen gab, sollen nicht wähnen, es diene ihnen zum Guten: Nein, zum Bösen dient es ihnen. Als Kette sollen sie am Tag der Auferstehung um den Hals tragen, womit sie gegeizt hatten. Und Allahs ist das Erbe der Himmel und der Erde. Und Allah kennt wohl euer Tun.” (3:180)

Immer wieder wird im Koran daran erinnert, dass es Allah teala ist, der gibt und der nimmt. Dabei geht es nicht um die Darstellung eines Gottes, der beliebig seine Schätze verteilt. Wir werden dabei eher daran erinnert, dass gerade Reichtum und Status nicht immer auf eigener Leistung beruhen müssen.

Wie viel von dem, das wir erreicht haben, können wir ohne Einschränkung uns selbst zuschreiben? Hängt ein Großteil unserer “Erfolge” nicht eher davon ab, in welcher Region der Welt wir auf die Welt gekommen, in was für eine Familie wir hineingeboren sind, welche Schulbildung uns unsere Eltern haben zukommen lassen? Vieles der Selbstverständlichkeiten um uns herum sind in den ärmsten Regionen der Welt selbst in Träumen unerreichbar.

Auch um uns herum gibt es genug Menschen, denen nicht die gleichen Startbedingungen wie uns zu Teil geworden sind. Schicksalsschläge haben sie aus der Bahn geworfen oder sie haben einfach im richtigen Augenblick nicht das Glück erfahren, das wir erlebt haben.

Die Erinnerung daran, dass es Allah ist, der uns gibt, soll uns nicht zu Passivität und zu Fatalismus verleiten. Sie soll uns zur Demut geleiten, zur Erkenntnis, dass nicht alles in unseren Händen lag, als wir Erfolg oder Scheitern erlebt haben. Erfolg soll keine Grundlage für Überheblichkeit, Rückschläge keine Grundlage für Hoffnungslosigkeit sein. Denn, “siehe, mein Herr gibt Versorgung, reichlich oder bemessen, wem Er will. Doch die meisten Menschen verstehen es nicht.” (34:36) (ek)