Gottes Barmherzigkeit dem Barmherzigen

Kann der Mensch gut sein, wenn er nur an sich denkt, nur an das eigene Fortkommen, an den eigenen Wohlstand? Kann in der reinen Beschäftigung mit sich selbst das Seligmachende liegen, wenn dabei das Leid um einen herum ignoriert wird? Kann der Mensch aufrichtig fromm sein, wenn die Auswirkungen dieser “Frömmigkeit” sich nur auf ihn selbst beschränkt?

Im Koran finden wir eine sehr eindringliche Beschreibung dessen, was Frömmigkeit für einen Muslim bedeuten sollte:

“Die Frömmigkeit besteht nicht darin,
dass ihr euer Angesicht gen Osten oder Westen wendet,
vielmehr ist Frömmigkeit,
an Gott zu glauben und an den Jüngsten Tag,
und an die Engel, an das Buch und die Propheten;
und das Geld, auch wenn man es liebt,
für die Verwandten, die Waisen und die Armen auszugeben
und für den “Sohn des Weges” und für die Bittenden und für den Sklavenfreikauf;
und das Gebet zu verrichten und die Armensteuer zu entrichten.
Die den Vertrag einhalten, wenn sie ihn abgeschlossen haben,
und die geduldig sind in Not und Missgeschick und Kriegszeit –
die sind es, die wahrhaftig sind,
die sind es, die Gott fürchten.” (2:177)

Der Vers liefert eine Blaupause für den Muslim, für den gütigen, gottesfürchtigen Menschen. Die Beschreibung beschränkt sich dabei nicht nur auf spirituelle, geistige Aspekte, sie ist vielmehr eine ganzheitliche Darstellung dessen, was den Menschen auf den Pfad der Frömmigkeit führt.

Einerseits wird ein Glauben an Gott und seine Botschaft erwartet, insbesondere an das Leben nach dem Tod. Gestärkt wird dieser Glaube mit Gebeten, mit Geduld in “Not und Missgeschick”. Aber noch viel mehr geht es darum, wie sich dieser Glaube, die Geduld und die Hingabe gegenüber Gott im Umgang mit anderen Menschen zeigen. Die Unterstützung von Bedürftigen unter Aufopferung des geliebten Geldes gehört genauso dazu, wie das Einhalten von Verträgen mit anderen Menschen. Werte wie Verlässlichkeit, Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit im täglichen Umgang mit anderen Menschen sind nicht optional, genauso wie Freigiebigkeit und Selbstlosigkeit gegenüber den Bedürftigen in der Gesellschaft.

Die Frage, ob der Mensch fromm sein kann, wenn er nur an sich selbst denkt, wird auch vom Propheten (as) recht eindeutig beantwortet. Nein, das kann er nicht. Auch ein pausenloses Gedenken Allahs wird nicht reichen, wenn sich dieses Gedenken nicht in den Umgang mit den Mitmenschen niederschlägt. Die Barmherzigkeit Gottes wird davon abhängig gemacht, wie man selbst andere Menschen behandelt:

“Allah wird demjenigen nicht barmherzig sein, bei dem die Menschen kein Erbarmen finden.” (Buchari, Muslim)

Es ist jedoch nicht nur der Mensch, demgegenüber Barmherzigkeit geboten ist. Vielmehr gilt dieses Gebot für alle Lebewesen, mit denen wir diesen Planeten teilen:

“Der Barmherzige erweist dem Barmherzigkeit, der barmherzig ist; seid darum allen auf Erden barmherzig, dann ist euch barmherzig, Der im Himmel ist.”(Tirmidhi)

(ek)