Die Verpflichtung des Herzens

In einem deutschen Reisepass findet sich auf der letzten Seite der Vermerk, dass dieser „Eigentum der Bundesrepublik Deutschland“ sei. Vergleichbares findet sich auch in den meisten anderen Reisepässen. Folglich darf man ihn weder beschädigen, zerstören noch weggeben. Schließlich gehört er einem nicht wirklich.

Gleiches ließe sich über unser Herz sagen: Nicht wir sind seine Eigentümer, sondern Gott. Wir alle sind gleichsam Bürger im großen Staate Gottes, der sich über alles, was existiert, erstreckt. Unser Herz ist in diesem Bild der Pass, mit dem wir uns als Geschöpfe Gottes ausweisen. Wie uns Gott im Koran ermahnt: „Sind sie erschaffen wohl aus Nichts, oder sind sie selbst die Schöpfer?“ (52:35).

Er ist es, gepriesen sei Er, der uns aus dem Nichts erschaffen und uns zu Personen gemacht hat. Ohne Ihn wären wir keine Person, hätten kein eigenständiges Selbst. Unser Herz, arabisch Al-qalb, welches den Mittelpunkt unseres Wesens darstellt und uns erst zu einem Menschen macht, erinnert uns daran.

Wir sollten deshalb besonders sorgsam mit unserem Herzen umgehen. Hier säen wir den Samen des Glaubens indem wir sagen: „La ilaha illa Allah“ – „Kein Gott außer Gott.“ Und: „Muhammadun rasul Allah“ – „Muhammad ist der Gesandte Gottes.“ Wenn wir das nicht unser Herz Tag für Tag aufs Neue bestätigen lassen, kann der Islam keine Wurzeln schlagen. Imam Al-Bukhariy überliefert, dass der Prophet, Frieden und Segen auf ihn, gesagt hat: (…) Wahrlich, es gibt im Menschenkörper ein kleines Stück Fleisch; wenn dieses gut ist, so ist der ganze Körper gut; ist es aber verdorben, so ist der ganze Körper verdorben. Wahrlich, das ist das Herz!“

In unserm Herzen zeigt sich also, wer wir sind, als ganze Person und vor Gott. Und der Zustand unseres Herzens bestimmt, ob wir gesunde Menschen sind. Gesunde Geschöpfe, die sich ihrem Schöpfer und Erhalter in Liebe und Ehrfurcht hingeben. Man könnte auch sagen: Unser Herz ist unser Fulltime-Job, die allerwichtigste Aufgabe in unserem Leben. Alles andere ist im Vergleich dazu zweitrangig.
Leider wird heutzutage, auch von Muslimen, die Bedeutung des Herzens häufig relativiert und als etwas Kitschiges abgetan. So als würde es sich dabei um Extraschmuck handeln, den man am Ende, wenn man um alles andere Sorge getragen hat, noch oben draufsetzen kann. Dabei wird verkannt, welche Herausforderung es darstellt, sein ganzes Leben hindurch bis aufs Sterbebett aus vollem Herzen „La ilaha illa Allah“ zu sagen – und danach zu leben. Das Herzensleben ist der allerrealste Teil unseres Lebens, da er uns zum einzig wirklich Beständigen, nämlich zu Gott führt.

Aus einem guten Herzen geht alles andere Gute hervor – wahres Glück, wahrer Erfolg, wahre Freiheit. Daraus sollten wir die Lehre ziehen, dass wir nicht „an unserem Herz vorbei“ glücklich, erfolgreich oder frei werden können. Wenn unser Herz von Niedertracht und Missgunst zerfressen ist, werden wir immer Gefangene bleiben, so viel weltliche Freiheit wir uns auch erstreiten. Wenn wir in unserem Herzen keine Achtung und Empathie für unsere Mitmenschen kultivieren, wird selbst der größte Erfolg hier auf Erden sich am Ende als eine Mogelpackung entpuppen. Und wenn wir unserem Herzen Dinge zuführen, von denen wir nachweislich wissen, dass sie ihm schaden – etwa pornographische Darstellungen oder Rauschmittel – dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir am Ende trotz aller irdischen „Glücksgüter“ kein wahres Glück ins uns finden. Wir tun mit all dem nämlich nicht nur uns selbst, sondern auch Gott Unrecht. Schließlich gehört unser Herz – unser Reisepass – ihm und nicht uns.

Lasst uns also versuchen, unser Herz sorgsam zu behandeln, Schlechtes und Schädliches von ihm fernzuhalten und Gutes und Schönes ihm zuzuführen. Das heißt vor allem: Gottes regelmäßig zu gedenken und den dummen inneren Widerwillen gegen Gott, seine Gebote und seine Schicksalsfügungen zu überwinden. Das ist kein spirituelles Hobby, sondern unsere elementare Verantwortung als Mensch. Dabei mag uns Gottes Versprechen bekräftigen: „Wahrlich, im Gedenken Gottes finden die Herzen Ruhe.“ (13:28) (lsj)