Die Menschen neigen heute sehr leichtfertig dazu, sich über die Entwicklungen auf der Welt zu empören. Man vermisst die vermeintlich gute alte Zeit, und sieht nur Krisen und Konflikte. Zweifellos gibt es die überall auf der Welt. Gerade in den sozialen Medien ist eine zunehmende Frustration und Negativität zu beobachten. Auch wir Muslime bleiben davon nicht unberührt. Auch wir Muslime liken, teilen und kommentieren in den sozialen Medien, aber auch in den Gesprächen unter uns, die Ungerechtigkeiten, die in verschiedenen Regionen der Welt den Muslimen angetan werden. Insbesondere ideologische Akteure unter uns Muslimen nutzen Videos und Bilder, um gezielt junge Muslime durch eine emotionale Ansprache in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Sowohl bei diesen ideologischen Akteuren als auch bei den Gesprächen unter Freunden geht es fast nie darum, wie man die Situation ändern kann, oder wie man zumindest die Aufmerksamkeit der Menschen auf wahre Ungerechtigkeit lenken kann. Es geht im Grunde genommen nur darum, sich abzureagieren. Das Ergebnis mit dieser Art und Weise des Umgangs mit tatsächlichem – aber auch imaginiertem – Unrecht ist am Ende Frustration und indirekt auch der Verlust des Vertrauens auf Allah, unserem Schöpfer.
Einerseits sind wir hochsensibel, wenn es darum geht, Ungerechtigkeiten gegenüber Muslimen auf der Welt wahrzunehmen und diese anzuklagen. Wenn es aber auch darum geht, Ungerechtigkeiten anzuprangern, die von Muslimen begangen werden, sind nicht wenige Muslime durchaus kreativ, um diese entweder zu rechtfertigen, oder aber absurde Begründungen zu konstruieren. Wir Muslime sind schnell dabei, die Doppelmoral ‚des Westens‘ – was das auch immer sein soll – zur Sprache zu bringen; gegenüber der Doppelmoral von einigen Muslimen sind wir aber blind.
In einem Hadith Qudsi heißt es: „Der Sohn Adams beleidigt Mich, indem er auf die Launen der Zeit schimpft, und Ich bin die Zeit. In Meiner Hand liegt der Wechsel von Nacht und Tag.“ Jede Zeit hat ihre Ungerechtigkeiten. Es steht einem Gläubigen nicht zu, auf die Zeit, in der er lebt, zu schimpfen, und sich in eine Vergangenheit zu flüchten, die oft romantisiert und im Rückblick verklärt wird. Jede Zeit hat ihre Herausforderungen und Chancen. Gerade gläubige Menschen, die auf Allah vertrauen und die positive Haltung zum Leben nie aufgeben, sollten sich diesen Herausforderungen stellen.
Man wird der Verantwortung vor seinem Schöpfer nicht gerecht, indem man sich tagtäglich in einer Klagementalität verbarrikadiert. Man wird ihr auch nicht gerecht, wenn man Willkür und Tyrannei anklagt, die weit weg stattfinden, während der Verantwortung für Dinge, die vor der eigenen Haustür geschehen, nicht nachgegangen wird. Es ist fragwürdig, in der Ferne stattfindende Konflikte zu instrumentalisieren, um den Geist der Menschen zu benebeln, sie empfänglich zu machen für ideologische Parolen. Stattdessen müssen Muslime dazu aufgerufen werden, gegen Armut und Not in der Gesellschaft, in der sie leben, etwas zu tun.
Der Verbreitung einer negativen Haltung zur Gegenwart muss etwas Positives entgegengesetzt werden. Die Menschen müssen dazu animiert werden, etwas Positives in der Gesellschaft, in der man lebt, zu stiften. Die negative Gefühlslage führt zur geistigen und spirituellen Abstumpfung der Menschen, und führt in Kombination mit Verschwörungstheorien zu Ressentiments und Hass. Ein Muslim kann aber kein Mensch sein, der seine Existenz durch Ressentiments und Negativität vergiftet. Ein Muslim ist immer jemand, der für Hoffnung, Barmherzigkeit und etwas Positivem steht. Das sollten wir unserem direkten Umfeld nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten vorleben. (eg)