Hungrige Gäste im Paradies

Paradiesische Zustände für all jene, die ihr Vermögen vor dem Zugriff des Staates in Sicherheit bringen können. Das vermittelt der Inhalt zahlreicher Dokumente, die jüngst unter der Bezeichnung Paradise Papers veröffentlicht wurden. Sie dokumentieren, wie vermögende Menschen ihren Reichtum nicht unter Umgehung, sondern unter Ausnutzung des Rechts so organisieren, dass sie möglichst wenig davon – im vermeintlichen Idealfall gar nichts davon – an staatliche Steuerbehörden abgeben müssen.

Diese Haltung gründet auf dem Gefühl, das angehäufte Vermögen sei ausschließlich das Ergebnis eigener, individueller Anstrengungen und jede Minderung dieses Vermögens durch steuerliche Abgaben sei ein im Grunde unzulässiger, willkürlicher Eingriff in die Privatsphäre des Vermögenden.

Deshalb wird es als legitim erachtet, unter Anwendung möglichst vieler und geschickt kombinierter Steuergesetze das „System“ mit seinen eigenen Waffen zu schlagen und jenen Zustand zu erreichen, der als paradiesisch wahrgenommen wird – nämlich nicht den geringsten Teil dessen herzugeben, was man für sich selbst an Reichtum angehäuft hat.

Diese Haltung ist mit der islamischen Vorstellung von Reichtum und der Verantwortung, die sich aus diesem vermögenden Zustand ergibt, nicht zu vereinbaren.

Niemand lebt für sich allein. Jeder ist Teil eines größeren Gefüges, nimmt Teil an diversen Wechselwirkungen, an einer Dynamik, in welcher der Vorteil des Einen, zum Nachteil des Anderen gereicht. Reichtum ist immer die Folge der Teilnahme an einer Gemeinschaft. Vermögen wird durch das Wirken innerhalb dieser Gemeinschaft angehäuft. Reichtum und Vermögen sind Früchte des Einzelnen, die er aus der Gemeinschaft gezogen hat. Der Eine wird reich, weil ihn die Arbeitskraft oder die hergegebenen Güter eines Anderen bereichern.

Erworbener Reichtum auf der einen Seite ist in diesem Verständnis stets auch das Spiegelbild einer Entbehrung, eines Verlustes auf der anderen Seite. Vermögen ist also weniger eine Größe, die entsteht, die geschaffen wird, sondern eher eine Masse, die sich ungleich verteilt.
Armut, wirtschaftliche Entbehrung und Not sind also nicht primär Folgen individuellen Unvermögens, von Faulheit oder von Schuld. Sie sind vielmehr ein Anzeichen dafür, dass die Anhäufung von Vermögen das Gleichgewicht des gemeinschaftlichen Zusammenlebens missachtet. Dass Reichtum sich seiner Verantwortung entzieht, die sich aus dem Reichtum selbst, nämlich aus der Teilnahme an gemeinschaftlichem Zusammenleben, ergibt.

Die Zakat ist eine der sogenannten fünf Säulen der islamischen Religionspraxis. Viel zu häufig ist in der Übersetzung dieses Begriffs von Almosen oder Armenabgabe die Rede. Dabei nimmt die Zakat etwas anderes in den Blick. Es ist die Läuterung, die Reinigung des angehäuften Vermögens. Denn das Vermögen ist im Sinne der bisherigen Beschreibungen des Reichtums immer und unausweichlich mit dem Leid, der Entbehrung, dem Verlust anderer belastet. Von diesem Makel muss das Vermögen gereinigt werden.

Die islamischen Wissenschaften haben bei der Zakat viele Details herausgearbeitet, die wir an dieser Stelle nicht umfangreich besprechen können. Wesentlich ist aber der Gedanke, dass eine Gemeinschaft Erträge und Güter produziert, die über das Maß der Grundversorgung eines jeden Einzelnen hinausgehen. So soll auch all jenes unangetastet bleiben, was ein Mensch für seine Unterkunft, sein Zuhause, seine Bekleidung, seine Ernährung, also seine Grundversorgung für ein ganzes Jahr benötigt.

Jedes Vermögen jedoch, das er über dieses Maß der Grundversorgung hinaus anhäuft, trägt den Makel, aus der Gemeinschaft gezogen worden zu sein und damit womöglich auch die Grundversorgung anderer zu schmälern.
Von diesem angehäuften Vermögen ist er verpflichtet, etwa ein Vierzigstel, also 2,5 %, an die Gemeinschaft zurückzugeben.

In der islamischen Gedankenwelt leben also nicht diejenigen auf Kosten einer Gemeinschaft, die in Not geraten und die Unterstützung der Gemeinschaft benötigen, sondern all jene, die ihren Reichtum aus dieser Gemeinschaft ziehen, dieses Vermögen über den eigenen Grundbedarf hinaus anhäufen und dann nicht dazu bereit sind, selbst einen kleinen Teil dieses Vermögens ihrer Gemeinschaft zurückzugeben.

Die hungrigen Gäste sind – wie in Paul Webers gleichnamigem Werk – eben nicht nur die ausgemergelten Gestalten, die durch die zerbrochenen Fenster in den Prunksaal drängen, sondern vielmehr die Nimmersatten an der üppig gedeckten Tafel, die sie mit niemandem teilen wollen.

Ein Paradies aber, das sich nur auf Kosten der Hölle anderer errichten lässt, kann keinen dauerhaften Bestand haben. (mk)