„Ganz gleich, wen ich frage“, schrieb einmal der türkische Dichter Özdemir Asaf (1923-1981), „jeder ist der Ansicht, dass sein Haus ein Zimmer zu wenig habe“.
Nehmen wir diese Aussage doch zum Anlass und horchen kurz in uns hinein. Verfallen nicht auch wir hin und wieder diesem Glauben? Dem Glauben nämlich, dass für das finale Glück in unserem Leben eine größere Wohnung, mehr Geld, ein teureres Auto, das neuste Smartphone, dieser oder jener Gegenstand fehle? Ist es nicht so, dass wir bereits von Kindesbeinen an lernen, Glück und eine höhere Lebensqualität seien vor allem durch mehr Besitz zu erlangen?
Nichts anderes gaukelt uns schließlich die Werbung vor, der wir tagtäglich ausgesetzt sind. Ein richtiges und gutes Leben ist demnach nur durch den Erwerb bestimmter Güter möglich. „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ dröhnt es uns etwa vorwurfsvoll und gefühlt an jeder Straßenecke entgegen. „Entdecke das Leben“, werden wir andernorts aufgefordert. Eine Parfümeriekette verheißt uns ein „schöneres“, ein Jeanshersteller ein „erfolgreiches“ Leben. Die Botschaft ist klar: sich mehr Besitz anzueignen – wichtiger noch: mehr zu haben als andere –, erhöht augenscheinlich unseren Wert. Das Aufkommen immer neuer Bedürfnisse und ein uferloser Konsum sind die Folge.
In dem Glauben, dass wir all diese Dinge tatsächlich bräuchten, kaufen wir daher unentwegt ein. Es müssen noch nicht einmal die teuersten sein, aber verschiedene Paar Schuhe für jeden erdenklichen Anlass sind schon unerlässlich, nicht wahr? Wenn man sich an den alten Möbeln bereits sattgesehen hat, ist es natürlich auch in diesem Fall höchste Zeit für eine Erneuerung. Wer wird schon abstreiten, dass es sich mit einem überdurchschnittlich großen Ultra-HD-TV einfach besser fernsehen lässt als mit einem gewöhnlichen Plasmagerät? Und da wir uns nun einmal in unsicheren Zeiten befinden, sollte man nicht nur eine, sondern am besten gleich mehrere Lebensversicherungen abschließen. Kurzum: wir leben in einer Welt der Warenüberflutung, einer Welt des Zu Groß, Zu Voll und Zu Viel.
Wie sehr wir das Gebot des Immer-Mehr-Haben-Müssens verinnerlicht haben, wird schnell deutlich, wenn wir Menschen begegnen, die weniger haben als wir: wir bemitleiden sie. Seien wir ehrlich! Unter keinen Umständen möchten wir mit ihnen tauschen, trotz all jener gut gemeinten Floskeln wie etwa, dass Geld allein nicht glücklich mache. Nicht nur uns selbst, sondern auch die Menschen um uns herum definieren wir über Besitz.
Es bleibt die Frage, wie denn ein derart übermäßiger Konsum mit einer muslimischen Lebensweise in Einklang zu bringen wäre. Die Antwort ist ganz und gar einfach: überhaupt nicht! Allen voran ist es der Koran, der unaufhörlich auf die Vergänglichkeit und die relative Bedeutungslosigkeit von diesseitigem Besitz hinweist, so beispielsweise in der Sure 10, Vers 24:
„Mit dem diesseitigen Leben ist es genau wie mit Wasser, das wir vom Himmel hinabsenden, mit dem sich dann die Pflanzen der Erde vermengen, wovon Mensch und Vieh essen. Sobald die Erde ihren Prunk angenommen und sich geschmückt hat und ihre Bewohner meinen, dass sie über sie verfügen, kommt nachts oder tags unsere Verfügung über sie (die Erde) und wir machen sie zu abgemähtem Land, als ob sie gestern nicht prächtig gewesen wäre. So legen wir die Zeichen genau dar für Leute, die nachdenken.“
Auch das Vorbild des Propheten lässt in dieser Hinsicht keine Zweifel. Als Musliminnen und Muslime sind wir aufgefordert, uns auf das zu besinnen, was existenziell notwendig ist. In einem von Tirmidhi überlieferten Hadith spricht der Prophet: „Jeder Mensch ist nur zu folgendem berechtigt: einer Wohnstätte, worin er leben kann, Kleidung, um seine Blöße zu bedecken, einem Stück Brot und Wasser.“ Nicht mehr, nicht weniger!
Umar ibn al-Chattab, der Gefährte des Propheten, berichtet hingegen: „Ich habe gesehen, wie der Gesandte Allahs – Allah segne ihn und gebe ihm Heil – einen Tag in ungeheurem Hunger verbrachte und nicht einmal verdorbene Datteln finden konnte, um seinen Hunger zu stillen.“ (Muslim)
Als die Gefährten des Propheten eines Tages über das Diesseits sprachen, sagte er zu ihnen: „Habt ihr denn nicht gehört? Habt ihr denn nicht gehört? Bescheidenheit und Genügsamkeit gehören zum Glauben.“ (Abu Dawud)
Er selbst habe sich, so berichtet seine Ehefrau Aischa, „bis zum Tag seines Todes niemals an zwei aufeinanderfolgenden Tagen mit Brot aus Gerste sattgegessen“ (Buchari, Muslim).
Die Zitate ließen sich gewiss vervielfachen. Eines dürfte jedoch klar geworden sein: indem der Prophet zeit seines Lebens ganz bewusst Verzicht praktizierte, stellte er sich gegen die Anhäufung von Besitztümern im Diesseits.
Wir sollten seinem Beispiel folgen und loslassen lernen, anstatt uns an Gegenstände, Geld und Wohlstand zu klammern. Ohne es vielleicht zu merken, geraten wir andernfalls nämlich in eine Abhängigkeit von materiellen Dingen, die wir zwar meinen zu besitzen, von denen wir aber in Wirklichkeit selbst besessen sind. Nicht die Angst, unser Hab und Gut zu verlieren, sollte unsere Existenz bestimmen, sondern vielmehr das Streben nach einem – im buchstäblichen Sinne – unbeschwerten Leben. Vergessen wir nicht, dass das irdische Leben vergänglich ist, „der Unterhaltung und dem Spiel gleich. Das Jenseits aber ist das wahrhaftige Leben“ (Koran 29:64).
Stellen wir uns vor unseren zukünftigen Einkäufen deshalb immer wieder aufrichtig die Frage: „Brauche ich das hier wirklich?“ Trennen wir uns doch zumindest ab und an von Dingen, die wir nicht wirklich benötigen, indem wir sie zum Beispiel verschenken. Anders, als es uns die Werbeindustrie weismachen will, ist nämlich nur ein genügsames Leben ein wirklich gelungenes Leben. Allein dieser Weg führt zu Zufriedenheit, wahrem Glück und, ja, Seelenruhe.