Speisevorschriften gehören zur Religion des Islams. Nicht um den Gläubigen das Leben schwer zu machen. Sie sind die Folge eines ganzheitlichen Blicks auf das Leben. Ein Leben, in dem der Mensch in mehr Verbindungen und Abhängigkeiten verwoben ist, als er es sich selbst bewusst ist. Der Islam ist nach eigenem Anspruch eine Erinnerung, ein Weg des Menschen zu sich selbst.
“Und richte nun dein Antlitz auf die Religion, im rechten Glauben,
gemäß der natürlichen Veranlagung, mit welcher Allah die Menschen schuf!
Keinen Ersatz gibt es für die Schöpfung Gottes.
Das ist die Religion, die Bestand hat.
Jedoch die meisten Menschen wissen nicht.” (30:30)
Vom Menschen wird erwartet, dass er diesen Beziehungen Aufmerksamkeit schenkt, bewusster in sein Leben blickt. Seine Verantwortung geht über sein eigenes Handeln hinaus. Was löse ich mit meinem Tun aus, wie beeinflusse ich mit meinen Entscheidungen meine Umwelt? Das Entwickeln eines Bewusstseins für diese Beziehungen gehört zum Muslimsein dazu.
Die Speisevorschriften zeigen einen Teil dieser Abhängigkeiten auf. Die Welt steht nicht zur grenzenlosen Ausbeutung des Menschen zur Verfügung. Nicht alles, was er verzehren könnte, darf er verzehren, nicht alles steht zu seiner Verfügung. Ihm sind Grenzen gesetzt. Er ist aufgefordert sich Gedanken darüber zu machen, womit und wie er seinen Hunger stillt.
Eines der bekanntesten Regeln ist das Schächtgebot für Tiere. Nur die rituelle Schächtung von Tieren macht es möglich, überhaupt Tiere verzehren zu dürfen. Ihr geht die Erinnerung vor, dass dies nur mit Gottes Namen erfolgen kann, keine Banalität, keine Selbstverständlichkeit ist. Jedes Schächtritual erinnert daran, dass hier nicht einfach Essen “produziert” wird, sondern Leben genommen.
Wir sind als Muslime oftmals darauf fokussiert, dass der letzte Schritt der Schächtung den rituellen Vorgaben entspricht und damit das “produzierte” Fleisch erlaubt, also halal wird. Doch ist der Blick auf diesen letzten Schritt ausreichend? Können wir als Muslime den Blick davor verschließen, wie Fleisch heutzutage industriell in Massenverfahren “produziert” wird? Kann es uns egal sein, wie mit den Tieren bis dorthin umgegangen wird, was sie alles durchleiden müssen?
Der Koran kennt schon aufgrund seiner Herabsendungszeit nicht das Konzept der Tierrechte. Diesen Diskurs gab es schlicht zu der Zeit nicht. Bemerkenswert ist jedoch, dass er sich trotzdem zum Umgang mit Tieren äußert. In der Sunna, der Lebenspraxis des Propheten, gibt es zahlreiche Hinweise auf eine umsichtige Behandlung von Tieren.
Im Gleichnis des Propheten Salih wird der Umgang mit einem Tier, in dem Fall eine Kamel-Stute, zur Prüfung für seine Gemeinschaft.
“Und zu den Thamud sandten wir ihren Bruder Salih.
Er sprach: “Mein Volk! Dient Gott!
Ihr habt keinen Gott außer ihm.
Zu euch kam ein Beweis von eurem Herzen:
Hier ist die Kamelin Gottes, für euch als ein Zeichen.
So lasst sie weiden auf der Erde Gottes,
und rührt sie nicht aus Bosheit an,
denn sonst erfasst euch schmerzhafte Strafe!”
Die Prüfung für Salihs Volk war es, das Tier nicht anzurühren, Gottes gesetzte Grenzen zu achten, dem Drang, Macht über das Tier auszuüben, zu widerstehen. Sie sollten sogar ihr Wasser mit ihr teilen, dem Tier ein Recht zugestehen. Sie bestanden diese Prüfung nicht: “Sie aber riefen einen ihrer Kumpane herbei. Er zog sein Schwert und tötete sie.” (54:29)
Wir scheinen diese Prüfung auch zu verlieren. Mit unserem Fokus auf der Möglichkeit, viel und günstiges Fleisch zu konsumieren, zeigen wir ein weitgehendes Desinteresse dafür, wie uns das Fleisch erreicht. Für uns ist es eine Unmöglichkeit und damit keines Gedankens wert, dass trotz korrekter ritueller Schächtung, die industrielle Massenproduktion die Halal-Eigenschaft des Fleischs verhindert.
Kann Helal-Fleisch überhaupt massenhaft und damit günstig hergestellt werden? Kann bei der massenhaften Fleischproduktion der Geist hinter dem Helal-Ritus aufrechterhalten werden? Das Verringern des Leids für die Tiere auf ein Minimum, das Bewusstsein, dass da jedes Mal Leben genommen wird, deswegen immer nur mit Gottes Namen geschlachtet werden darf, reicht es, dass beim Start der Schlachtanlage, beim Drücken auf den Startknopf die Basmala gesprochen wird?
Eine positive Antwort auf diese Fragen scheint guten Gewissens nicht möglich. Die Erwartung, regelmäßig billiges und viel Fleisch zu konsumieren und die Halal-Eigenschaft des Fleisches scheinen sich auszuschließen. Die Einhaltung der Halal-Riten aus einer ganzheitlichen Perspektive, scheint nur bei geringerem Fleischkonsum möglich zu sein. Halal und industrielle Fleischproduktion, Halal und billiges Fleisch, Halal und viel Fleisch, das erscheint nicht möglich.