„Baruch Atah Adonaj, Elohejnu Melech ha’Olam, schehechejanu, vekijemanu vehigianu laSman haseh.“
„Gepriesen seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der Du uns hast Leben und Erhaltung gegeben und uns hast diese Zeit erreichen lassen.“
Dies ist einer der drei Segenssprüche, mit dem das erste Licht des Chanukka-Leuchters entzündet wird. Unsere jüdischen Geschwister begehen in den kommenden Tagen das jährliche Chanukka-Fest im Gedenken an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem.
Nach dem militärischen Sieg über die Seleukiden sollte der traditionelle jüdische Tempeldienst wieder eingeführt werden. Hierzu war es wichtig, dass das Licht der Menora niemals erlischt. Nach dem Krieg mit den Seleukiden war aber nur noch für einen Tag ausreichendes geweihtes Öl für das Licht der Menora übrig – und es hätte acht Tage gedauert, neues geweihtes Öl herzustellen. Durch ein göttliches Wunder brannte das Licht jedoch diese acht Tage lang. In Erinnerung an dieses Wunder, wird acht Tage lang jeweils ein Licht des Chanukka-Leuchters entzündet.
Chanukka ist damit ein Fest der Hoffnung. Es ist ein häusliches Fest. Aber es ist auch ein Fest, das öffentlich wahrnehmbar sein soll. Der Chanukka-Leuchter wird so aufgestellt, das sein Licht offen sichtbar ist: Die Erinnerung an das Wunder, das Licht der Hoffnung sollen für alle sichtbar sein.
Und auch wenn der Tempel später durch die Römer zerstört wurde, feiern bis zum heutigen Tag Jüdinnen und Juden weltweit die Erinnerung an dieses Wunder und damit die Hoffnung und die Zuversicht in Gott.
Das für die Öffentlichkeit bestimmte Licht der Hoffnung wirkt dabei über den jüdischen Gottesdienst hinaus als ein Licht der Hoffnung für alle. Als ein Licht, das allen Mut zuspricht, die Hoffnung nicht zu verlieren und damit auch im eigenen Handeln ein Licht für andere zu sein.
Gerade für uns Muslime ist diese Bedeutung des Chanukka-Festes ein wertvolles Zeichen und eine beachtenswerte Botschaft. Gerade in diesen Zeiten, in denen wir uns immer lauter und fast nur noch über erlittenes Unrecht, tatsächliche oder vermeintliche Ungerechtigkeit, über Ungleichbehandlung und Ablehnung beklagen. In denen wir viel zu leichtfertig unser Leben in dieser Gesellschaft nur als Last und Bürde empfinden. In denen wir uns nicht als Teil, sondern als Fremde in dieser Gesellschaft wahrnehmen.
Gerade in solchen Zeiten ist die Erinnerung an Hoffnung und an die Zuversicht in Gott – uns Muslimen vermittelt und ins Gedächtnis gerufen durch das acht Tage lang entzündete Licht einer anderen Glaubensgemeinschaft – ein intensiver Ausdruck des besonderen Wertes einer vielfältigen, einer pluralistischen Gesellschaft.
Und gleichzeitig auch eine Erinnerung an die koranische Botschaft, dass Gott uns in dieser Vielfalt erschaffen hat, damit wir voneinander lernen.
Und auch für alle anderen glaubenden oder nicht glaubenden Menschen in unserer Gesellschaft ist die vorgelebte jüdische Tradition der Hoffnung, das festliche Feiern der Hoffnung eine große Stütze in diesen schwierigen, uns alle auf verschiedenste Weise belastenden Zeiten.
Hoffnung. Ich zwinge mich dazu, dass sie mich auch in jenen Momenten nicht verlässt, in denen ich unsere muslimischen Gemeinschaften vor dem Hintergrund dieses aktuellen Anlasses betrachte. Kaum einer unserer Verbände kann sich dazu durchringen, hier mit einer öffentlichen Grußbotschaft unsere jüdischen Geschwistergemeinden aufrichtig zu umarmen.
Wenige, die zu Chanukka Glückwünsche aussprechen, vermitteln den Eindruck, dass es eher dazu dienen soll, die antisemitischen Facetten der eigenen institutionellen Geschichte und Gegenwart zu übertünchen. Einen glaubwürdigen Chanukka-Gruß ohne Aufarbeitung der eigenen, internen antisemitischen Belastungen kann es aber nicht geben. Diese Voraussetzung wird dann auch prompt von der eigenen Basis bestätigt: Ein verbandlicher Chanukka-Gruß wird im Internet mit Ausfällen kommentiert, für die man sich als Muslim schämen muss.
Solange Muslime meinen, sich stattdessen für Chanukka-Grüße ihrer Organisationen schämen zu müssen, solange haben wir unsere eigene göttliche Offenbarung nicht begriffen; solange ist – wie es der Koran formuliert – der Glaube nicht in unsere Herzen gedrungen.
Wenn wir erwarten, dass Islam auch für andere Frieden bedeuten soll, dürfen wir Muslime uns nicht im Zustand eines Dauerkonflikts mit Andersgläubigen oder der Gesellschaft, in der wir leben, begreifen.
Wenn wir erwarten, dass Islam auch für andere Liebe bedeuten soll, muss diese Liebe über die Eigenliebe hinausgehen und in liebevoller Fürsorge alle Menschen in dieser Gesellschaft umarmen.
Wenn wir erwarten, dass der Islam und mit ihm wir Muslime nicht mehr als Fremde in dieser Gesellschaft wahrgenommen werden, müssen wir alles Wertvolle, das es in dieser Gesellschaft gibt, als eigenen Wert achten und bewahren. Und selbst dort, wo dies an religiöse Grenzen stößt, müssen wir das Andere um seiner Schönheit willen achten – nämlich für seine Schönheit, die es für den Anderen entfaltet.
Nur so kann auch die Schönheit unseres Glaubens für andere Menschen sichtbar werden. Und für diese Sichtbarkeit brauchen wir Licht und Hoffnung.