Ein Gastbeitrag von Sumayya Ahmed
Das islamische Glaubensbekenntnis beginnt mit »la ilaha illa Allah«. Das »la« (nein) ist eine Verneinung und Lossagung von allem Unwahrem, um dem Wahrhaftigen, Allah (swt), zu begegnen. »La ilaha illa Allah« bedeutet, nichts und niemand ist so wie Allah (swt). Der Schöpfer. Der Eine und Einzige. Nichts und niemand ist beständig, ewig und allmächtig. Außer Allah (swt). Keine Sorge, kein Kummer und keine Angst sind größer als Allah.
Das Glaubensbekenntnis ist kein Lippenbekenntnis, sondern ein performativer Akt des Herzens. So heißt es bei einem Hadith überliefert von Imam Muslim: »Allah schaut nicht auf eure Gestalten und eure Güter, sondern auf eure Herzen.«
Was bedeutet es Allah ins Zentrum seiner Existenz zu setzen und was macht das mit dem Alltäglichen bzw. Alltag des Menschen, gläubig zu sein?
Jeder Mensch hat eine Lebenswelt, in der er lebt ,wacht und dient. Seine Aufgabe ist die Lebensbewältigung und -gestaltung. Auf diesem Weg begegnet er der Macht, die ein oben und unten schafft, daraus entstehen Verteilungs- und Interessenskonflikte – kurz gesagt, die gesellschaftlichen Lebensbedingungen. So wie auch schon Foucault behauptet hat, kann der Mensch nicht jenseits von Macht sein oder existieren, da diese Macht ihn positioniert, in Verhältnis stellt und in Aktion hält . Allah (swt) ist die treibende Kraft, die aufwertet und abwertet, erhöht und erniedrigt, dominiert und marginalisert. Es ist ein fortlaufendes Spiel von Befreiung und Vereinnahmung, in der eine absolute Befreiung (im Diesseits) nicht möglich ist. So sagt Allah im Koran (Surah 90:4) »Wir haben den Menschen zur Mühsal erschaffen.«
Auf dieser Weise bleibt alles in Bewegung, alles in ein Verhältnis zu allem, was existiert. Auch das, was uns verborgen liegt und nicht sichtbar ist.
Allah spricht den Menschen in seiner Lebenswelt an, der unter gesellschaftlichen Verhältnissen und Widersprüchen lebt. Ein Blick in den Koran genügt, um das zu erkennen. Deshalb ist der Islam für mich immer auch moralisierend, empowernd, heilend und anregend.
Zu glauben und sich das Glaubensbekenntnis ins Bewusstsein zu rufen, ist ein Aufruf, in der der Gläubige sich einzig und alleine Allah unterwirft. Alles andere wird nebensächlich und klein. Im täglichen Gebet, wird auch die Unterwerfung verkörpert und praktiziert. Es ist zugleich ein Freimachen, Zurücklassen und Loslassen von allem Weltlichen. Man wird zum Fragenden, der in einer antwortenden Beziehung zu Allah steht, und auf eine Resonanzerfahrung hofft.
Wenn das tägliche Gebet uns verpflichtet wurde, dann hat es einen Zweck einer identitätsbasierenden Gewohnheit zu ritualisieren. Ziel ist die Erinnerung und ein fortlaufendes Bewusstmachen, der Beziehung zum einen und einzigen Schöpfer und der Vergegenwärtigung der Erschaffung Adams – aus Erde, der Tod – der Rückkehr zur Erde und die Wiederauferstehung – aus der Erde.
Aber das Gebet hat noch einen Zweck, es verleiht den Gläubigen einen Deutungs- und Handlungsrahmen, wodurch er seinen Alltagswelt versteht, Sinn gibt und gestaltet. Doch diese Reise in der Alltagswelt geschieht nicht reibungslos, sondern mit vielen Umwegen und Konflikten zwischen Freiheit und Zwänge, zwischen Selbstbehauptung und Unterwerfung, zwischen Selbstbestimmung und Anpassung, zwischen Wirklichkeit und Ideale, zwischen Erfolg und erfolglosen Versuchen, zwischen Erfüllung und Leere, zwischen Hoffnung und Entmutigung.
Und Allah sagt im Koran (Surah Bakarah, Vers 286): »Allah erlegt einer Seele nur das auf, was sie vermag. Ihr gebührt, was sie erworben, und ihr obliegt, was sie sich angeeignet hat…«
Und wir antworten bittend: »…Unser Herr, mache uns nicht zum Vorwurf, wenn wir (etwas) vergessen oder Fehler begehen. Unser Herr, und erlege uns keine Bürde auf, so wie Du sie jenen aufgebürdet hast, die vor uns waren. Unser Herr, und lade uns nichts auf, wofür wir keine Kraft haben. Und verzeihe uns und vergib uns und erbarme Dich unser. Du bist unser Beschützer, so leiste uns Beistand gegen die leugnenden Leute!«
In der Liebe und Nähe zu Allah suchen wir die Weltflucht, da sie aus der psychologischen Sicht manchmal schwer zu ertragen ist, aber niemals eine Weltverachtung. Dafür ist die Welt zu wertvoll, denn wir bauen auf sie unsere guten Gedanken, Absichten und Taten.