Frieden sei mit ihm

In dieser Woche begehen viele Muslime weltweit Feierlichkeiten zum Gedenken an die Geburt unseres Propheten Mohammed (S.A.S.). Seiner wird in Liebe und Ehrerbietung gedacht. Es gehört zu dieser Achtung und Wertschätzung, dass sein Name, wann immer er ausgesprochen oder geschrieben wird, von dem Wunsch nach Frieden begleitet wird: S.A.S. steht als Abkürzung für die Achtungsbekundung „Salla -llahu Aleyhi wa-Salam“ – „Allahs Segen und Frieden sei mit ihm“. 

Es ist vielleicht eine der rätselhaften Fügungen Allahs, dass unser Gedenken in diesem Jahr mit dem Streit um seinen Namen und seiner karikaturistischen Abbildung zusammenfällt. Wir sollten das nicht als Zufall oder Provokation begreifen.

Wir sollten diesen Umstand nicht zum Anlass für demonstrativen Protest oder Verurteilungen, nicht zum Anlass für Wut und Empörung nehmen. Wir sollten vielmehr versuchen, diesen Zusammenhang zwischen unserem Gedenken und der Respektlosigkeit anderer ihm gegenüber, als Gelegenheit zu betrachten. Als eine Ermahnung Allahs, unser Denken und Handeln zu prüfen. 

Ich beobachte viele unserer Glaubensgeschwister dabei, wie sie sich – angetrieben von Schmerz und Enttäuschung – in blinde Wut verstricken. Einige vergleichen Karikaturen unseres Propheten (S.A.S.) mit der Leugnung der Shoa: Sie meinen, man dürfe solche Dinge nicht unter dem Schutz der Meinungsfreiheit sagen. Man dürfe keine rassistischen oder frauenfeindlichen Beschimpfungen als Meinungsfreiheit entschuldigen. Aber uns Muslime dürfe man beschimpfen und sich dabei auf Freiheitsrechte berufen. 

Wer so argumentiert, hat die Bedingungen unseres Zusammenlebens nicht verstanden oder nicht verinnerlicht. Wer die historische Realität des Völkermordes an Jüdinnen und Juden leugnet oder verächtlich macht, relativiert und verharmlost eine historische Schuld. Wer sich rassistisch oder frauenfeindlich äußert, würdigt ganz konkret Menschen herab und öffnet den Weg zur Legitimation von Gewalt gegen sie. Die Shoa ist eine historische Tatsache. Eine Frau zu sein, ist eine Tatsache. Diese Tatsachen sind dem Beweis zugänglich. 

Muslim zu sein, ist eine Überzeugung. Eine höchstpersönliche Gewissensentscheidung, der Ausdruck eines Glaubensbekenntnisses. Der Bezugspunkt dieses Bekenntnisses, der Islam, das Bekenntnis, dass es keinen Gott gibt außer Allah, und dass Mohammed sein Gesandter ist, ist keinem weltlichen Beweis zugänglich – gerade dies ist die Herausforderung unseres Glaubens. 

Uns wegen dieses Bekenntnisses zu beschimpfen und zu schmähen, ist nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, weil dadurch unser ganz individueller, höchstpersönliche Anspruch auf Geltung und Achtung als gleichberechtigte Bürger innerhalb einer Gesellschaft verletzt wird. 

Aber den Islam als Religion zu schmähen, ihn zurückzuweisen, ihm gegenüber respektlos zu sein, darf und muss zu der Freiheit eines jeden Menschen gehören, insbesondere dann, wenn er unsere Glaubensüberzeugung nicht teilt.      

Wenn wir verstehen wollen, was Freiheit bedeutet, müssen wir diese Unterscheidung nachvollziehen und aushalten: Die Respektlosigkeit einer Religion gegenüber – und gegenüber ihren Symbolen und Figuren – bedeutet nicht die Beleidigung ihrer Anhänger. 

Denn was ist eine Beleidigung? Es ist die Kundgabe der Nichtachtung eines anderen Menschen. Der Islam ist aber kein Mensch. Er ist eine Religion, die man auch ablehnen darf. Die Kundgabe der Nichtachtung unserer Religion müssen wir als Muslime aushalten, ohne sie als persönliche Kränkung oder Provokation zu verstehen. 

Weshalb müssen wir das? Weil jede Glaubensüberzeugung gleichzeitig auch die Kundgabe einer gewissen Nichtachtung anderer Glaubensüberzeugungen in sich trägt. Wir glauben daran, dass zum Beispiel Christen fälschlicherweise Jesus als Mensch gewordenen Gott verehren. Was unseren christlichen Mitbürgern der Kern, das höchste Gut ihrer Glaubensüberzeugung ist, deuten wir Muslime als Höchstmaß religiöser Verirrung. 

Unsere christlichen Freunde halten es aus, dass unsere Glaubensüberzeugung den Kern ihrer eigenen Glaubensüberzeugung vollständig negiert. Gleichzeitig halten wir es aus, dass aus Sicht unserer christlichen Mitbürger wir einer schlechten Kopie jüdischer und christlicher Offenbarungen anhängen. 

Die Glaubensfreiheit für alle verlangt von uns allen, dass wir wechselseitig die Zurückweisung unserer jeweiligen Glaubensüberzeugungen aushalten. Gleichzeitig verlangt die negative Glaubensfreiheit von uns – egal welcher Religion wir folgen – all jene auszuhalten, die in unseren Glaubensüberzeugungen nur kindliche Märchenerzählungen sehen und die Existenz eines Gottes vollständig ablehnen. Wir können unter diesen Umständen nur dann friedlich zusammenleben, wenn wir die Respektlosigkeit in der Sache der Religion nicht als persönliche Kränkung verstehen.

Der Fall der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo ragt aus diesen Betrachtungen in einer besonderen Weise hervor. Auch ich finde ihre Karikaturen abstoßend. Sie regen mich nicht dazu an, über meinen Glauben nachzudenken oder kritisch über den Islam zu reflektieren oder ganz allgemein das Konzept der Religion aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Ich erkenne in ihnen vielmehr den Wunsch, lediglich zu beschimpfen, vielleicht auch Verachtung auszudrücken. 

Aber auch das kann und muss ich aushalten. Ich habe keinen Anspruch auf gute Satire. Die Kunst- und Meinungsfreiheit schützt auch geschmacklos und abstoßend vorgetragene Inhalte. Es wäre kein Freiheitsrecht, wenn das um der Freiheit willen Vorgetragene, allen zu gefallen hätte. Gerade auch die Kontroverse um den Grenzbereich der Freiheit, macht das Wesen der Freiheit aus.

Und in diesem ganz besonderen Fall habe ich Anlass, besonders verständnisvoll gegenüber der aktuellen Respektlosigkeit Charlie Hebdos zu sein. Es ist nur 5 Jahre her, dass zwei Muslime die Redaktionsräume dieser Zeitschrift überfallen haben. Nach ihrem eigenen Bekunden haben sie damals „den Propheten gerächt“. 

Sie ermordeten dabei Frédéric Boisseau, Stéphan Charbonnier, Jean Cabut, Bernard Verlhac, Philippe Honoré, Georges Wolinski, Bernard Maris, Mustapha Ourrad, Michel Renaud, Elsa Cayat, Franck Brinsolaro und verletzten elf weitere Menschen, einige davon schwer. Auf der Flucht verwundeten die Täter den Polizisten Ahmed Merabet, den sie anschließend aus nächster Nähe mit einem Kopfschuss töteten. 

Wenn Menschen, die für sich die Freiheit in Anspruch nehmen, einer Religion gegenüber keinen Respekt zu zeigen, mit Waffengewalt und Mord dazu gezwungen werden sollen, Angst vor dieser Religion zu haben, dann verstehe ich es, wenn sie sich dieser Angst nicht ergeben wollen – und sich ihr mit noch ausdrücklicherer Respektlosigkeit widersetzen.

Als Muslime können wir nicht Respekt einfordern und gleichzeitig hinnehmen, dass diese aus Angst entspringen soll. Gerade in diesem Punkt, in der Reaktion auf Zurückweisung und Spott und ausdrücklich auch gegenüber verletzender und schmerzvoller Verachtung, müssen wir feststellen, dass wir zwar stets den Namen unseres Propheten ehren und sein Andenken nicht beschimpfen lassen wollen – aber zum Vorbild nehmen wir ihn uns nicht. 

Als unser Prophet Mohammed (S.A.S.) den Menschen in der Stadt Taif, südöstlich von Mekka, die Offenbarung Allahs verkünden wollte, wurde er verspottet und beschimpft. Man beleidigte ihn, bewarf ihn während seines Gebets mit Schmutz und verletzte ihn mit Steinwürfen. Der Prophet hat sie nicht bestraft. Er hat sich nicht gerächt. Er hat sich nicht empört oder von Wut leiten lassen. Er vergab ihnen und betete dafür, dass die Menschen in Taif ihren Irrtum erkennen und dass sie ihre Herzen für die Offenbarung Allahs öffnen mögen.

Wie können wir glauben und es hinnehmen, dass jemand, der „als Segen für alle Welten“ gesandt wurde, aus Angst zu respektieren sei? „Frieden sei mit ihm“ darf nicht nur bedeuten, dass Allah ihm im Jenseits Frieden geben möge. Wenn Frieden stets „mit ihm“ sein soll, dann müssen wir Muslime immer und überall und unter jeder Bedingung mit Friedfertigkeit und Nachsicht und Vergebung auffallen, wenn sein Name fällt, wenn es um ihn und um den Islam geht. 

Die Realität sieht leider viel zu häufig noch anders aus. Wie können wir aber von anderen die Besserung ihres Verhaltens erwarten, wenn wir uns selbst nicht bessern und Schlechtes mit noch Schlechterem vergelten?  

Im Koran heißt es: „Nicht gleich sind die gute Tat und die schlechte Tat. Wehre mit einer Tat, die besser ist, die schlechte ab, dann wird derjenige, zwischen dem und dir Feindschaft besteht, so, als wäre er ein warmherziger Freund.“ (Sure 41, Vers 34)

Wir haben eine schöne, eine wunderschöne Religion. Allerdings sind wir zu häufig nicht gut darin.