Die Lebensgeschichte des Propheten Mohammed (as) weist viele Höhen und Tiefen auf. Erfolge stehen neben Rückschlägen, Menschen, die an ihn glaubten neben anderen, die ihn abgrundtief hassten. Als Jugendlichen überraschte mich an diesen Erzählungen die Vehemenz derjenigen, die seine Botschaft ablehnten. Mir wurde nicht klar, warum diese Menschen dermaßen gefesselt waren von ihren Götzen, wie ihre Ohren so taub sein konnten für die Botschaft des Propheten, die ich als klar und einfach empfand.
In der jugendlichen „Klarheit“ war mir nicht bewusst, dass es weder um die banale Anbetung von in Stein gehauenen Göttern ging, noch dass die Botschaft des Propheten und des Korans weitergehender war als die Predigt einiger neuer Rituale und etwas Mildtätigkeit.
Die Mekkaner verstanden sehr wohl, was der Islam von ihnen verlangte. Es ging nicht einfach um den Wechsel von einer Gottheit zur Anderen oder um die Ersetzung veralteter Rituale. Ihr Widerstand galt nicht dem Beten zu bestimmten Tageszeiten oder dem Fasten an abgezählten Tagen. Der Islam forderte sie heraus, ihren Blick auf ihre Mitmenschen, ihre Wertvorstellungen, ihren Maßstab von Gut und Böse. Er hinterfragte die Rollenverteilung in der Gesellschaft, stellte ihre Wertzuschreibungen für unterschiedliche Gruppen von Menschen infrage, zweifelte ihre Privilegien und ihr Selbstverständnis an.
In einer Gesellschaft, in der der Wert eines Menschen davon abhing, ob er dem Kindbett einer „Sklavin“ oder eine Patrizierin entstammte, die Farbe der Haut oder das Geschlecht darüber bestimmte, ob und welche Rolle man in der Gesellschaft spielen durfte, in der die Geburt eines Mädchens für den Vater eine so große Schmach bedeutete, dass der Kindsmord an der Tochter einen legitimen Ausweg aus der „Schande“ darstellte.
Als Jugendlicher war mir nicht bewusst, welche Eruptionen die Aussagen des Korans in solch einem Umfeld haben mussten:
„Ihr Menschen! Fürchtet euren Herrn,
der euch aus einem Wesen schuf
und der daraus sein Gegenüber schuf
und der aus beiden viele Männer und Frauen entstehen ließ!“ (4:1)
Diese Gleichstellung dessen, was aus Sicht der Privilegierten ungleich bleiben musste, rüttelte an einem System der Ungerechtigkeit, das weniger Privilegierte gefälligst als Schicksal zu begreifen hatten. Vor Allah waren sie alle gleich. Er hatte keinen Blick für die Farbe ihrer Haut, für den Inhalt ihrer Börse, für den ihnen zugeschriebenen gesellschaftlichen Status.
Welche Herausforderung diese neue Religion gerade für die Führer der Mekkaner bedeutete, wird an einem Dialog des Propheten mit seinem Onkel Abu Lahab deutlich. Von Abu Lahab wird überliefert, dass er bis zur Bekanntgabe der Prophetie seines Neffen ein sehr gutes Verhältnis zu ihm gehabt hatte. Zwei seiner Söhne waren mit den Töchtern des Propheten verlobt, Muhammed as gehörte zu seinen Lieblingsneffen. Mit der Offenlegung des göttlichen Auftrags seines Neffen wurde er jedoch zu seinem ärgsten Feind.
Nach dem Tod seines Bruders Abu Talib fielen ihm die Führerschaft über seinen Stamm zu, zudem auch der Prophet gehörte. Im Geiste der Stammesfürsorge war er an dem Punkt bereit, auf seinen Neffen zu zugehen und er fragte ihn: „Was gibt es für mich, wenn ich den Glauben annehme?” Der Prophet: “Für Dich gibt es das, was es für alle Gläubigen gibt.” Diese Gleichstellung mit anderen konnte es für Abu Lahab nicht geben. Seine Privilegien, die Zuschreibung eines besonderen Status, sie konnten nicht beschränkt bleiben auf die Menschen um ihn herum, auch Gott hatte sie gefälligst anzuerkennen. „Auf eine Religion, die mich mit anderen gleichstellt, kann ich verzichten“, war Abu Lahabs erboste Antwort auf den Propheten.
Abu Lahab blieb bis zu seinem Tod beständig in seinem Hass, seiner Ablehnung gegenüber seinem Neffen und der Religion, die er predigte. Nicht weil er die Botschaft nicht verstand oder ihre Aussagekraft anzweifelte. Er erkannte sehr wohl, zu wem diese Verse sprachen:
„Schaue nicht verächtlich auf die Menschen!
Und wandele nicht auf Erden voller Übermut!
Siehe, Allah liebt keinen Eingebildeten, Stolzen.“ (31:18)
Ihm war der Preis zu hoch, den er für diesen Glauben hätte bezahlen müssen: das Ablegen seiner Privilegien, das Lossagen von seinem Überlegenheitsdenken, die Akzeptanz seiner Gleichheit mit seinen Mitmenschen. Stattdessen „wendet er sich [von der Botschaft] ab – hochmütig, als ob er sie nicht höre, als ob in seinen Ohren Taubheit wäre“ (31:7).