Es ist nicht einfach, als gläubiger Muslim in einer mehrheitlich nichtmuslimischen, ja überhaupt nicht religiösen Umgebung zu leben. Sobald man die Moschee verlässt, in der für einen kurzen Moment die Welt „in Ordnung“ war, tritt einem die Umwelt sogleich wieder mit ihrem ganzen Irritationspotential entgegen. Wie kann man sich als Muslim erklären, dass in einem so wohlhabenden, fortschrittlichen und gebildeten Land wie Deutschland die allermeisten Menschen nichts mehr von Gott, geschweige denn von Allah wissen wollen?
Wenn wir als Muslime einen starken Glauben in unserem Herzen tragen, kann uns das nicht kalt lassen. Wir alle werden davon in gewissen Momenten getroffen, verspüren die kognitiven Dissonanzen einer vermeintlich widersprüchlichen Existenz. Dafür sollten wir uns nicht schämen, die Brüche und Verunsicherungen gehören in der heutigen Welt einfach dazu.
Man kann bei Alt und Jung in unserer Community beobachten, wie der Emotionshaushalt über die Zeit verrücktspielt, wenn man vom Freitagsgebet kommt und wenige Minuten später auf dem Schulhof oder auf der Arbeit hämische Witze über Gott gerissen werden, als wäre es das Selbstverständlichste. Die Ratlosigkeit schlägt dann mitunter in Wut um, warum diese Menschen ihren Schöpfer verleugnen können, wenig später wiederrum in Trauer und Mitleid, dass es für sie nichts weiter gibt als dieses irdische Leben und sie die Liebe Gottes nicht kennen. Bei manchen mündet dieses Gefühlschaos letztlich in Eifer, einem schädlichen und zutiefst unislamischen Seelenzustand, in dem die Betroffenen die Besonnenheit eines ruhigen Glaubens mit der Hysterie einer Ideologie austauschen. Andere enden in der Resignation und der müden Relativierung des Glaubens, gemäß dem Motto, dass doch jeder glauben soll, was er will. Auch das ist schade, weil es ein Desinteresse für die Seelen der anderen widerspiegeln kann, die doch schließlich das Licht Gottes genauso sehr brauchen wie man selbst.
Das Heilmittel für diesen Zustand der Überforderung ist die Einsicht, dass Gott tut was er will. Erhaben ist Er! Erhaben über unseren engen Horizont, erhaben über das, was wir von der Welt um uns herum halten, erhaben auch über das, was wir von Ihm denken! Wir hören im vierten Vers der Surah Ibrahim: „Und Wir haben keinen Gesandten gesandt, außer in der Sprache seines Volkes, damit er ihnen (die Botschaft) klar macht. Gott lässt dann in die Irre gehen, wen Er will, und leitet recht, wen Er will. Und Er ist der Allmächtige und Allweise.“ Und in der Surah Al-Layl, Vers 12, spricht Gott: „Wahrlich, Uns allein obliegt die Rechtleitung!“ Auch an vielen weiteren Stellen betont Allah im Koran immer wieder, dass Er es ist, Der die Menschen zu Sich führt, weder andere Gläubige, noch der Zufall. Es gibt nichts, dass Gott „einfach so“ sagt; wenn Er eine Sache immer wiederholt, wie hier die in Seinen Händen liegende Rechtleitung, möchte Er uns anhalten, darüber nachzusinnen.
Es sind nicht wir, die die Menschen rechtleiten, so sehr wir es uns auch manchmal wünschen mögen – es ist Gott. Und genauso wie Er wollte, dass zu früheren Zeiten bei sehr vielen Menschen seine Botschaft auf offene Ohren stieß, so wollte Er, dass es heute, in unserem Kontext, anders ist. Diesen Ratschluss Gottes zu beurteilen, ist nicht unsere Aufgabe.
Wir sollten uns weniger Gedanken darüber machen, warum unsere Zeit so ist, wie ist, und in all dem vielmehr ein Zeichen Gottes sehen, Der auch noch unter diesen Umständen rechtleitet, wen Er will. Unsere Aufgabe ist es, gute Muslime zu sein und unserer Umwelt als gute Mitmenschen zu begegnen – egal, ob die Gesellschaft mehrheitlich gläubig oder mehrheitlich nichtgläubig ist.
Wir sollten unseren Glauben jedoch auch nicht verstecken. Schließlich gehört er nicht uns, sondern ist ein Geschenk Gottes an die gesamte Menschheit, ein Licht, das dazu da ist, weitergegeben zu werden. Mit einer inneren Ungezwungenheit und Ruhe wollen wir Seinen Namen im Herzen und auf der Zunge tragen.
Gelobt sei Gott, und Segen und Frieden auf Seinen Gesandten.