Der Moscheebau ist für uns Muslime ein wichtiges Zeichen der Sesshaftwerdung, des sich dauerhaft Niederlassens in einer neuen Heimat. Provisorische Gebetsräume werden immer mehr durch auf Dauer angelegte, entsprechend große und prunkvoll dekorierte Moscheen ersetzt. Bei der Planung wird nicht mehr nur an den Gebetssaal gedacht, sondern auch an Nebenräume für Gemeindearbeit, soziale Treffpunkte, Gastronomie.
Wer seine Freitagsgebete in provisorischen Hinterhofmoscheen, in zu Gebetsräumen umgebauten, viel zu kleinen Kellern oder Dachgeschossen verrichtet hat oder sich mit der Gemeinde in Turnhallen zum Feiertagsgottesdienst traf, der weiß zu schätzen, was er an einem gut ausgestatteten, neuen Moscheegebäude hat.
Diese Dankbarkeit darf uns aber nicht dazu verleiten, die Moschee als den alleinigen Platz der Hinwendung zu Allah zu begreifen. Die Moschee wird häufig nicht nur als Ort des Gebets, sondern auch der Koranvermittlung und der allgemeinen religiösen Unterweisung verstanden. Häufig ist davon die Rede, junge Muslime sollten ihre Freizeit besser in der Moschee verbringen als anderswo.
Dementsprechend wird der soziale Erfolg einer Moscheegemeinde häufig daran gemessen, ob die Freizeitangebote für Jugendliche guten Anklang finden oder wie groß die Gruppen sind, die sich zur religiösen Unterweisung in einer Moschee treffen. So verständlich eine solche Betrachtung für Moscheevereine ist, die auf die Unterstützung durch Mitglieder angewiesen sind, so sehr laufen wir dadurch Gefahr, die Universalität unserer islamischen Offenbarung zu verwässern.
In unserem islamischen Verständnis trennen wir die Welt nicht in eine profane und eine spirituelle oder sakrale Sphäre. Wir sollten uns deshalb auch davor hüten, die Religion als eine solche zu begreifen, die nur in der Moschee stattfindet und nur dort ihren Platz hat. Ebenso sollten wir die Welt außerhalb der Moschee nicht als Ort wahrnehmen, der von Religion befreit ist oder nicht durch unseren Glauben durchdrungen sei.
Die islamische Offenbarung lässt uns wissen, dass Frömmigkeit nicht darin besteht, sein Gesicht nach Osten oder nach Westen zu wenden (vgl. Sure 2, Vers 177). Das heißt, trotz aller Regeln, die mit dem Ritualgebet zusammenhängen, ist unser Glaube, ist unsere Frömmigkeit nicht auf einen bestimmten Ort reduziert. Unser Prophet Mohammed (s.a.s.) lässt uns wissen, dass uns die ganze Welt ein Masjid ist, also ein Ort, an dem wir uns in Ergebenheit vor Allah verbeugen.
Mehr noch, lässt uns die Offenbarung wissen, dass die gesamte Schöpfung sich in einer permanenten Ergebenheit und Verbeugung vor Allah befindet (vgl. Sure 22, Vers 18; Sure 13, Vers 15). Das bedeutet, wir sind dazu aufgefordert, nicht nur an einem eigens dafür errichteten Ort, sondern überall auf der Erde, in jedem Moment unseres Lebens nach dem Wirken Allahs zu suchen, von dem wir zu jeder Zeit umgeben sind.
Die Suren im Koran tragen verschiedene Überschriften, darunter al-Baqara, die Kuh oder an-Nahl, die Biene und an-Naml, die Ameisen oder al-Ankabut, die Spinne oder al-Fil, der Elefant und at-Tin, der Feigenbaum. Flora und Fauna sind uns als Allahs Schöpfung nicht nur anvertraut, sondern gleichzeitig eine Botschaft, eine Verkündung seines Wirkens.
Weshalb bringen wir unseren Kindern und Jugendlichen nicht auch in einem Zoologischen Garten oder in einem Botanischen Garten die Verse Allahs näher und lassen sie im Augenblick der Rezitation dieser Verse nicht unmittelbar die wundersame Schöpfung Allahs erleben? Wer sagt uns, dass Koranunterricht nur in einer Moschee stattfinden darf?
Einige Suren tragen die Überschrift an-Nur, das Licht oder ash-Shams, die Sonne und al-Fajr, die Morgendämmerung und al-Layl, die Nacht oder ad-Duha, der helle Morgen oder al-Qamar, der Mond und an-Najm, der Stern. Im Koran wird uns verkündet, dass wir im Wechsel von Tag und Nacht das Wirken Allahs erkennen können.
Weshalb gehört es nicht zum festen Teil eines Koranunterrichts, mit den Kindern und Jugendlichen ein Planetarium zu besuchen? Dort könnte ihnen die für unseren Geist kaum fassbare Schönheit und Weite der Schöpfung Allahs eindrucksvoll nähergebracht werden.
Warum vermitteln wir unseren Kindern den Inhalt der uns anvertrauten Offenbarung nicht in Museen und Kunstausstellungen? Überall dort, wo der von Allah erschaffene Mensch durch sein wissenschaftliches Wirken und seine künstlerische Kreativität den Spuren Allahs nachzuforschen versuchte, hat er wertvolle Werke und Erkenntnisse hinterlassen, mit denen wir uns unsere Religion immer wieder auf neue Art und mit neuen Blickwinkeln aneignen können.
In der auf den ersten Blick chaotischen Malerei eines Jackson Pollock entdecken wir Fraktale, also selbstähnliche Muster, die aus Kopien ihrer selbst bestehen. Und wir entdecken eben jene Muster auch in der Verzweigung einer Baumkrone oder in den Verästelungen unserer Blutgefäße oder gar im Blütenstand eines Romanesco.
Oder wenn uns David mit dem abgetrennten Haupt des Goliath aus Caravaggios gleichnamigem Gemälde entgegenblickt, erkennen wir in diesem mehr als 400 Jahre alten Werk das gleiche Grauen, zu dem wir Menschen auch heute noch im Namen der Religion fähig sind. Dort sehen wir – in Farbe erstarrt – die Zerrissenheit des Menschen zwischen wilder Entschlossenheit und zweifelndem Erschaudern; und haben damit Anlass, erneut über das Verhältnis von Religion und Gewalt nachzudenken.
Allah umgibt uns zu jeder Zeit und an jedem Ort. Wir dürfen deshalb unsere Bemühungen nicht nur darauf ausrichten, uns angenehme und würdevolle Gebetshäuser zu errichten. Wir müssen den Spuren Allahs an jedem Ort und zu jeder Zeit nachforschen.
Wir müssen uns mit all unserem Verstand und mit allen Mitteln der Kunst darum bemühen, zu verstehen, was es bedeutet, ein von Allah erschaffener Mensch zu sein – und welche Verantwortung wir dadurch für die Schöpfung und damit gerade auch für andere Menschen tragen.