Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die unsere (Lebens-)zeit fest im Griff hat. Nicht wir managen unsere Zeit, sondern die Anforderungen unserer Gesellschaft. Unsere Arbeitszeiten, Essenszeiten, Freizeit- und Aktivitätenzeiten und Schlafenszeiten scheinen vorprogrammiert zu sein, um einen sozial anerkannten Platz in unserer Gesellschaft zu haben. Diese latente Fremdbestimmung führt dazu, dass wir von einem Termin zum anderen hetzen, ohne dabei zu merken, was dieser Druck mit uns macht. Am Ende des Tages sind wir erschöpft und haben weder Zeit noch Energie für die Menschen um uns, da wir den ganzen Tag wie eine Maschine funktionieren mussten.
Man kann von einer Entmenschlichung reden, wenn wir Beziehungen nicht pflegen und zwischenmenschliche Kontakte vernachlässigen. Seien wir mal ehrlich, wann haben wir zuletzt bewusst Zeit mit unserem Lebenspartner verbracht? Wann sind wir zuletzt mit dem Partner Essen gegangen oder einen Spaziergang in der Natur oder eine kleine Reise unternommen? Auch das Konzept Familie leidet stark unter diesem Leistungsdruck. Eltern beklagen sich oft, dass die Kinder in der heutigen Gesellschaft viel Zeit beanspruchen, da sie von dem einen Termin (Sport- oder Musikunterricht oder eine andere Aktivität) zum anderen gefahren werden müssen und dann kaum Zeit für den Ehepartner bleibt.
Später wundern sich Ehepaare, wie sie sich mit der Zeit auseinandergelebt haben. Daher sollte man dem Ehepartner bewusst Zeit schenken, denn mit Zeit schenken wir auch gleichzeitig Aufmerksamkeit und pflegen unsere Liebe. Es ist möglich aus dem Alltagsdruck zu flüchten, das Handy für ein paar Stunden auszuschalten und einen Babysitter für die Kinder zu organisieren. Die Ehe wird im Islam als die Vervollständigung des Glaubens angesehen, wenn wir dies achten und wertschätzen, sollten wir uns unbedingt mehr Zeit für unsere Liebsten nehmen und unsere Beziehungen stärken. Familien mit mehreren Kindern sollten darauf achten, dass das einzelne Kind nicht zu kurz kommt. Wie wäre es, wenn man sich Vater- Tochter und/oder Vater-Sohn-Tage und Mutter-Tochter und/oder Mutter-Sohn-Tage einrichten würde? So hat das einzelne Kind die Chance für den Vater bzw. für die Mutter im Mittelpunkt zu stehen.
Auch unsere Freundschaften spielen sich nur noch in der digitalen Welt ab, man schreibt sich höchstens noch. Ein Treffen bei einer Tasse Kaffee oder Tee bringt uns auf andere Gedanken und verbindet unsere Herzen. Wir sollten auch den Kontakt zu unseren Eltern und zu unserer Verwandtschaft aufrechterhalten, denn in einem Hadith heißt es: „Wer Freude daran hat, dass (Allahs) Gabe an ihn reichlich wird, und dass er länger lebt, der soll seine Bindung zur Verwandtschaft pflegen.“
Zuletzt möchte ich noch auf das kleine Kind in uns oder einfach auf uns selbst aufmerksam machen. Es benötigt auch unsere Aufmerksamkeit. Die Gebetszeiten oder das Gebet selbst bieten eine hervorragende Möglichkeit, allem um uns herum Stopp zu sagen und mit sich selbst und dem Schöpfer alleine zu sein.
Lassen wir es nicht zu, dass diese Leistungsgesellschaft uns die Zeit unseres Lebens raubt, die uns am wichtigsten ist, nämlich die Zeit mit unseren Liebsten.
Wenn wir etwas leisten, dann sollte dies für unsere Mitmenschen sein. Wir sind keine Maschinen, die auf Knopfdruck funktionieren. Wir sind Menschen aus Herz und Seele, die mit Zeit, Aufmerksamkeit und Liebe lebendig bleiben.
„Bei Allah, in Dessen Händen meine Seele ist, ihr werdet nicht ins Paradies kommen, wenn ihr nicht glaubt, und ihr werdet nicht glauben, solange ihr euch nicht gegenseitig liebt. Darf ich euch erzählen, wie ihr euch gegenseitig liebt? Verbreitet Frieden und Grüße unter euch.” (sbk)