Den Muslimen dieser Welt geht es schlecht. Wo man auch hinschaut, scheinen sie Anderen unterlegen zu sein. Viele der sogenannten islamischen Länder sind gebeutelt von jahrzehntelanger Willkürherrschaft, von Krieg und Terror. Ökonomisch hinkt die islamische Welt dem Westen weit hinterher. Politisch hat sie, wenn überhaupt, nur geringen Einfluss. In den Wissenschaften und Künsten sind Muslime weltweit kaum bis gar nicht wahrnehmbar. Selbst in den wohlhabenderen Teilen des Globus, in denen es ihnen zumindest wirtschaftlich besser geht, sind sie tagtäglich Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus ausgesetzt.
Für einige liegt die Ursache dieser Missstände ganz klar im Islam selbst. Wenn der Islam nämlich nicht rückständig, gewaltaffin und freiheitsfeindlich wäre, so die Behauptung, dann hätten seine Anhänger heute auch nicht mit all diesen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der einzige Weg aus der Misere wäre demnach ein Bruch mit der eigenen religiösen Tradition. Kurzum: der Islam sei das Problem.
Sehen wir einmal davon ab, dass sowohl die Diagnose hinsichtlich eines krankenden Islams als auch die hier vorgeschlagene Gegenmaßnahme etwas holzschnittartig daherkommen. Interessant ist gleichwohl, dass wir Muslime diese Darstellungsweise häufig fast eins zu eins übernehmen – nur eben umgekehrt. Der Islam sei keineswegs der Grund allen Übels, heißt es nun von dieser Seite. Im Gegenteil: er sei die Lösung all unserer Probleme. Es gelte nur, ihn richtig zu verstehen. Das globale Leiden der Umma heute sei daher nichts anderes als die Folge einer falsch verstandenen und vor allem falsch praktizierten Religion.
Der Islam als Problemlöser! Folgt man dieser Logik, dann ist der Koran im Grunde nichts anderes als ein Werkzeugkasten, aus dem es gilt, je nach gesellschaftlichem oder politischem Defekt, nur das passende Werkzeug herauszusuchen. Danach, so die Erwartung, müsste die Welt eigentlich wieder in Ordnung sein. Gottes Rechtleitung erschöpft sich also darin, dass er uns mit dem Koran eine Art Waschmittel zur Verfügung gestellt hat, welches – bei korrekter Anwendung, wohlgemerkt – sogar die schlimmsten Flecken spurlos beseitigt.
Dabei verspricht der Koran an keiner einzigen Stelle, dass ein gottgefälliges Leben mit diesseitigem Erfolg honoriert würde. Wahrhaftigkeit und Rechtleitung sind für den Koran nichts an weltlichem Wohlergehen Messbares. Vielmehr verurteilt er etwa jene, die nach Macht streben (35:10; 3:79), Vermögen anhäufen (Sure 104) oder in Palästen wohnen (22:45; 28:81).
Reichtum oder politische Überlegenheit ist also kein Indiz dafür, dass Gott auf jemandes Seite steht – ebenso wenig wie Niederlagen und Misserfolge seine Strafen für Fehlverhalten sind.
„Wenn der Mensch von seinem Herrn in der Weise auf die Probe gestellt wird, dass dieser freigiebig gegen ihn ist und ihm Wohltaten erweist, sagt er: ‚Mein Herr war freigiebig gegen mich.‘ Wenn er ihn aber prüft und ihm seinen Unterhalt begrenzt, sagt er: ‚Mein Herr hat mich erniedrigt.‘“ (89:15-16)
Dies gilt übrigens gleichermaßen für Gegenwart und Vergangenheit. Es wäre deshalb zu kurz gegriffen, wollte man etwa die immer wieder beschworene glorreiche Geschichte des Islams auf die vermeintlich tadellose Frömmigkeit einstiger Muslime zurückführen. Hingegen wäre es, gelinde ausgedrückt, anmaßend, Menschen aufgrund ihrer schweren Lebensschicksale einfach mangelnde Religiosität zu unterstellen.
Natürlich müssen wir uns Missständen auf dieser Welt entgegenstellen. Natürlich sind wir verpflichtet, Einspruch gegen Ungerechtigkeiten zu erheben. Nur haben wir keine Garantie und schon gar nicht einen Anspruch auf, sagen wir einmal, positive Ergebnisse. Rückschläge, Unglück und Erfolglosigkeit sind deshalb kein Fluch und keine Schmach Gottes. Sie sind – wie Glück und Erfolg eben auch – Prüfungen, die es zu bestehen gilt. Ganz gleich, was es uns bietet, das Leben ist für Muslime eine einzige große Bewährungsprobe, in der es nicht darauf ankommt, irgendwelche angeblich islamische Lösungen aus dem Ärmel zu zaubern, sondern einzig und allein darauf, verantwortungsvoll und in vollem Gottvertrauen zu handeln. Nur dann, so versichert uns unser Prophet, ist es auch ein gutes Leben:
„Die Lage des Gläubigen ist wahrlich erstaunlich. Jeder Zustand ist gut für ihn, und keinem anderen außer dem Gläubigen wird dies zuteil. Trifft ihn etwas Erfreuliches und er dankt dafür, so ist es gut für ihn. Trifft ihn etwas Unerfreuliches, und er zeigt sich darin standhaft, so ist auch dies gut für ihn.“ (Muslim) (as)