Die Beschäftigung mit der Geschichte der islamischen Gelehrsamkeit ist für uns Muslime heute von großer Bedeutung. Die Reflektion über die Werke und die Persönlichkeiten, die diese Wissenstradition über die Jahrhunderte entwickelt haben, ist wichtig, um sich mit den Herausforderungen der Gegenwart auseinanderzusetzen und eigene, auf das Heute bezogene Lösungen oder Denkanstöße zu finden.
Nicht selten dominieren bei uns Muslimen aber zwei extreme Formen, wie man sich mit der eigenen Geschichte beschäftigt und sich dieser annähert. Das eine Extrem ist die Romantisierung der Vergangenheit. Man neigt ganz schnell zu einer nostalgischen Haltung, klagt dabei die eigene gegenwärtige Lage an. Man denkt, dass man durch die unreflektierte und von der Gegenwart losgelöste Nachahmung des vergangenen Erbes zur alten Blüte wiedererlangt. Dabei ist dieses Erbe jedoch nur konstruiert.
Das andere Extrem ist die totale Verdammung der eigenen Wissenstradition. Dabei wird verzweifelt versucht, ohne jegliches Fundament etwas Neues zu konstruieren. Das führt letztendlich zu einer Beliebigkeit und dem Verlust von Wissen. Beide Herangehensweisen sind am Ende oberflächlich und fern der historischen Realitäten, die über die Jahrhunderte herrschten.
Wer wirklich die Herausforderungen der Gegenwart meistern und seiner Verantwortung als gläubiger Muslim im Hier und Heute gerecht werden will, darf geistig nicht in der Vergangenheit verhaftet bleiben. Gerade wenn wir uns die Produkte der modernen Serienindustrie einiger islamisch geprägten Länder anschauen, dann sehen wir, wie diese Filmindustrie die Menschen in einer konstruierten künstlichen Vergangenheit gefangen hält.
Statt sich in solchen Fantasiewelten zu verlieren, müssen wir uns mit der Wissenstradition auseinandersetzen, die Impulse daraus aufnehmen und intellektuell weiterdenken. Jenseits dieser beiden Extreme. Der amerikanische Gelehrte Hamza Yusuf sagte jüngst in einem Vortrag, dass es eine Tragödie der heutigen muslimischen Gemeinschaft sei, dass sie ständig von der Vergangenheit spreche und davon, wie groß man einst gewesen sei.
Der Glaube an die Barmherzigkeit Allahs bedeutet auch, seiner Verantwortung in der Gegenwart gerecht zu werden und mit Hoffnung in die Zukunft zu blicken, statt nur in die Vergangenheit zu schauen und in Nostalgie zu schwelgen. In einem Hadith von unserem Propheten Muhammad (saw) heißt es sinngemäß: „Meine Gemeinschaft ist wie Regen. Man weiß nicht, ob das erste davon oder das letzte davon das Beste ist.“