In dem Film Rashomon von Akira Kurosawa aus dem Jahr 1950 gibt es gegen Ende eine Szene, in der ein Mönch seine Verehrung gegenüber einem anderen Menschen – dem Holzfäller – zum Ausdruck bringt, indem er sich vor ihm verneigt. Dabei ist der Holzfäller keineswegs ein Held. Im Gegenteil: wir lernen ihn kennen als jemanden, der mit allen menschlichen Makeln behaftet ist. So ist er nicht immer ehrlich, zuweilen eitel und selbstsüchtig. Er fügt anderen Menschen bewusst Schaden zu, allein um sich selbst in einem besseren Licht dastehen zu lassen. Kurzum: ein durch und durch schwacher Charakter. Nichts desto trotz ist es eine scheinbar bedeutungslose Geste jenes Holzfällers, durch die der Mönch, wie er selbst sagt, seinen Glauben an die Menschheit zurückgewinnt.
Eine ähnliche Geschichte finden wir auch im Koran. Dort sind es die Engel, die sich vor einem Menschen – Adam – niederwerfen, von dem sie zuvor sagen, dass er auf der Erde „Unheil anrichten und Blut vergießen“ werde (2:30-34). Auf den ersten Blick ein Widerspruch, der zudem durch zahlreiche andere Passagen verstärkt wird. Mitunter beschreibt der Koran den Menschen nämlich als „furchtsam“ und „ängstlich“ (17:19-20), als „überhastet“ (17:11), „geizig“ (17:100) und „voller Habgier“ (4:128).
Wie passt das zusammen?
Die Antwort ist so simpel wie wegweisend. Sie liegt in der grundsätzlichen Fähigkeit des Menschen, Gutes ebenso wie Schlechtes zu tun. Genau diese widersprüchliche Beschaffenheit des Menschen ist es nämlich, die ihn vor anderen Lebewesen – auch Engeln – auszeichnet und die ihm die Würde zuteilwerden lässt, von der auch der Koran spricht (17:70).
Jeder und jede einzelne von uns ist nur (!) ein Mensch. Das heißt, ähnlich wie der Holzfäller in Kurosawas Film haben auch wir Schwächen und Fehler zuhauf. Bewusst wie unbewusst begehen wir kleine und große Sünden. Mit anderen Worten: keiner oder keine von uns ist ein makelloser, glattgebügelter Superheld. Die gibt es nur in schlechten Filmen.
Gleichzeitig aber tragen wir alle, wie der Koran uns ebenfalls mitteilt, den Geist Allahs in uns (32:9). Und der kommt gelegentlich zum Vorschein, und zwar bei jedem von uns. Manchmal sind es unsere guten Taten, manchmal unser Wohlwollen anderen gegenüber und manchmal vielleicht auch nur das schlechte Gewissen, das uns plagt, wenn wir wieder einmal einen Fehler begangen haben. Es gibt also immer wieder Situationen in unserem Leben, in denen wir entgegen unserer schlechten Neigungen und unseres Eigeninteresses handeln und uns bewusst dem Guten, Richtigen und Schönen zuwenden… Obwohl wir eigentlich auch anders könnten. Genau das ist menschliche Größe.
Erkennen wir also an, dass ausnahmslos jeder Mensch diese Größe besitzt. Ja, auch diejenigen, die wir vielleicht nicht besonders mögen. Hassen wir deshalb niemanden für seine Irrtümer und Missetaten. Bemühen wir uns, trotz allem das Gute in den Menschen – übrigens auch in uns selbst – nicht aus den Augen zu verlieren. Tun wir dies vor allem dann, wenn es uns am schwersten fällt. Denn sonst verlieren wir auch Allah aus den Augen.
Machen wir es also nicht wie Iblis, den sein Stolz davon abhielt. Verneigen wir uns vor dem Menschen! (as)