Der Tod ist für den Menschen der verstörendste “Lebensabschnitt”. Er ist endgültig und sein Kommen ist sicher. Dennoch überrascht uns jeder Todesfall, je näher uns der oder die Verstorbene stand, umso mehr. Natürlich schmerzt der Verlust, die irdisch-endgültige Trennung von einer geliebten Person. Jeder Todesfall erinnert uns aber auch an unsere eigene Sterblichkeit, unsere Vergänglichkeit, an ein abruptes Ende, das all unsere Planungen und Vorsätze beendet.
Ein Entrinnen vor dem Tod, eine Möglichkeit ihn zu überwinden bietet der Islam nicht an. Vielmehr hält er den Menschen dazu an, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen, das Natürliche darin zu erkennen:
“Dann wird der Todesrausch die Wahrheit bringen: Das ist es (Mensch), dem du zu entkommen suchtest.“ (Sure Qaf (50), 19)
Für der Islam ist der Tod jedoch kein Ende, nein, er ist ein Übergang, eine Rückkehr zum Schöpfer. Von ihm geht der Tod aus, als ein Ende unserer irdischen Prüfung:
“Dass nämlich keine beladene Seele die Last einer anderen tragen wird; und dass der Mensch nur empfangen wird, worum er sich bemüht, und dass die Frucht seines Bemühens sichtbar werden wird, und dass er dann mit vollem Lohn dafür belohnt werden wird; Und dass zu deinem Herrn die Rückkehr ist; und dass er lachen und weinen macht; und dass Er es ist, der sterben und leben lässt.” ( Sure an-Nadschm (53), 38-44)
Der Koran lenkt seinen Zuhörer dann auch immer wieder auf dieses irdische Leben. Ja, dem Tod gilt zwar die Erinnerung, dem Leben steht jedoch die Beschäftigung zu. Nicht für den Tod sind wir erschaffen worden, sondern damit wir leben. Um dieses Leben gilt Gottes Sorge, darum, wie wir es führen. Wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen, wie wir sie behandeln. Denn letztendlich entscheidet über unser jenseitiges Leben nicht die Art unseres Todes, sondern die Art wie wir unser Leben geführt haben. Umso grotesker erscheinen vor diesem Hintergrund die Verheißungen mancher nihilistischer, menschenverachtender Gruppierungen, dem falschen Leben durch einen “richtigen” Tod zu entfliehen. Es sind unsere Absichten und Taten im Leben, unser Umgang mit dem Anderen, die uns bestimmen. Das Gute und Schlechte diesem gegenüber, das tun wir auch uns selbst an:
“Wer Rechtschaffenes tut, der tut es zu seinem Vorteil, wer aber Böses tut, der tut es zu seinem Nachteil. Dann werdet ihr zu eurem Herrn zurückgebracht.” (Sure al-Dschathia, (45), 15)
Man mag sich selbst als besonders gläubig und fromm ansehen, einem Gottesdienst direkt den nächsten folgen lassen, mehr zu Gott beten als man zu Menschen spricht. Wenn dieser Glaube den Gläubigen nicht auch gütig gegenüber seinem Mitmenschen werden lässt, er sich nicht im Einsatz für den Anderen manifestiert, was unterscheidet ihn dann vom Geiz, von der Raffsucht, nur zum eigenen Vorteil?
Wer ein muslimisches Totengebet schon einmal erleben durfte, dem müsste neben dem rituellen Totengebet auch ein Dialog zwischen dem Imam und der Gemeinde aufgefallen sein. “Wie kanntet ihr den Toten?”, fragt der Imam die Gemeinde. Wozu diese Frage, wenn der Glaube doch nur etwas zwischen Gott und dem Menschen ist? Der Glaube ist auch etwas Intimes zwischen Geschöpf und Schöpfer. Doch er muss sich auch im Umgang mit den anderen Geschöpfen beweisen.
Ein Leichenzug zog an einer Gruppe mit dem Propheten vorbei. Als die Anwesenden sich im Guten über den Toten äußerten, sagte der Prophet: “Es ist notwendig geworden.” Ein weiterer Leichenzug zog an der Gruppe vorbei und die Anwesenden erinnerten sich im Schlechten an den Verstorbenen. Wieder sagte der Prophet: “Es ist notwendig geworden.” Als die Gefährten verwundert fragten, was denn notwendig geworden ist, entgegnete der Prophet: “Für den, den ihr im Guten erwähnt habt, für den ist das Paradies notwendig geworden. Für den, an den ihr euch im Schlechten erinnert habt, für den ist die Hölle notwendig geworden. Denn ihr seid Gottes Zeugen auf Erden.” (Abu Dawud, Dschenaiz: 80; İbn Madsche, Dschenaiz: 2) (ek)