- „Ein Zeichen davon, dass man sich noch auf seine eigenen Taten verlässt, ist, dass sich bei einem Fehltritt die Hoffnung vermindert.“
Dies ist der erste Aphorismus in der Sammlung „al-Hikam“ des spirituellen Meisters Ibn Ata‘illah al-Iskandari.
Nicht umsonst ist dieser „geistreiche Sinnspruch“, wie der Duden den „Aphorismus“-Begriff vorschlägt, die Einführung zum Werk al-Iskandaris; und nicht umsonst stammt er von einem Geistlichen, einem Sufi, also einem Gottsuchenden, einem, der ungetrübt und deutlich erkennt.
In diesen Tagen manchmal gar schwerwiegender Entwicklungen, nicht selten auf Grundlage einer politisch-angespannten Atmosphäre, verliert so manch‘ einer schon die Geduld und versucht „Schlechtes mit Schlechtem zu vergelten“, wie uns die ersten Freitagsworte erinnerten: „Wut und Auflehnung gegen das Schlechte“, so heißt es da. Dies ist die eine Seite. Es gibt mindestens noch eine weitere Reaktion von ähnlichem Kaliber. Und zwar die Reaktion, die sich weniger plötzlich, sondern eher langsam anbahnt und dann scheinbar ganz legitim wirkt: die der Hoffnungslosigkeit.
Hoffnungslos resigniert ist der Mensch, wenn die eigene Ressourceninvestition wieder nicht lohnt, das Projekt wieder diskreditiert wird und sich wieder nicht ausgezahlt haben soll. Man ist völlig am Ende und schon auf und dran den Hahn zuzudrehen.
Und was aber, wenn es denn doch klappt, der Einsatz sich auszahlt? Da wo es klappt, ist Hoffnung: Man freut sich dann natürlich wie ein Schneekönig, zehrt Kraft aus seiner Anlage und investiert voller Eifer in die nächste Unternehmung!
Nur, liebe Gläubige, liegt dieser kaufmännischen Betrachtung doch zumindest aus muslimischer Sicht ein großes Haltungsproblem zugrunde; mehr noch, sie vertragen sich erst gar nicht: denn weder ist die Beziehung des Gläubigen zu seinem Schöpfer wie die zwischen einem Bankkunden und der Bank, noch drückt sich die Hoffnung als „Ware“ in Form eines Bankkontos aus; die muslimische Haltung kennt nämlich kein Pendel, das zwischen Hoffnungslosigkeit und Hoffnung hin und her schlägt. Für den Gläubigen gibt es n u r die Hoffnung. Da wo Gott ist, ist Hoffnung! So heißt es auch in der Offenbarung: „Wer verliert die Hoffnung auf die Barmherzigkeit seines Herrn außer den Irregehenden?“ (15:56).
Den Erfolg und Misserfolg nur an das eigene Handeln zu knüpfen, um daraus Kraft zu zehren, lässt den Menschen den Ergebnissen entsprechend mal aufrecht gehen, aber auch mal schwanken, unter erschwerten Bedingungen gar fallen. Doch der Gottkennende enthält sich dieser Verknüpfung und erkennt Gott allein als den Erfolggewährenden an. Er bezeugt Gott, indem er Ihm die Ihm würdige Stellung zuschreibt. Ganz nach adamitischem Vorbild: Gott vergab dem Propheten Adam, da dieser Gott die Ihm würdige Stellung zusprach. Adam wusste um seines Fehltritts, bereute, hoffte und Gott, der Vergebende, vergab. Iblis, der Widersacher, bereute nicht, knüpfte seinen Erfolg und Misserfolg an das eigene Handeln und bat um Aufschub, um seine als rechtens angesehene Hochmütigkeit auch als rechtens darzulegen: Gott erhörte auch hier die Bitte, gewährte ihm den Aufschub, aber vergab ihm nicht.
Also nochmal: „Ein Zeichen davon, dass man sich noch auf seine eigenen Taten verlässt, ist, dass sich bei einem Fehltritt die Hoffnung vermindert.“
Al-Iskandari erinnert uns hier nun gleich zu Beginn der Sammlung an die erste Erkenntnis eines jeden begonnenen Werks, eines jeden aufgenommenen Weges: das völlige Anvertrauen an Gott. Wer sich in allem auf Gott einlässt und verlässt, verliert die Hoffnungslosigkeit, gewinnt die Hoffnung. Gerade in diesen turbulenten Zeiten sind wir gefragt, nicht nur geduldig zu sein, sondern auch wieder unsere auf Gott bezogene aktive Hoffnungshaltung anzunehmen.
Gastbeitrag von Sercan Sever.