Wieder erschüttern Anschläge die Welt. Massenmörder berufen sich im Monat Ramadan, dem Monat, in dem die ersten Verse des Koran offenbart wurden, auf den Islam, wenn sie Menschen umbringen. Manch einer der Mörder meint sogar, es sei ihm eine besondere Pflicht, eine besondere Aufgabe, im Ramadan zu morden. Angesichts dieser Tatsachen muss uns endlich klar werden, wie nutzlos und wie wirkungslos alle unsere bisherigen Aufrufe, alle unsere Pressemitteilungen und Verurteilungsrituale sind.
Diese grausamen Morde immer wieder aufs Schärfste zu verurteilen, hat keine Wirkung. Diese Geste wirkt zunehmend unbeholfen und teilnahmslos. Wie scharf kann eine Verurteilung sein, wenn sie ständig mit nahezu dem gleichen Wortlaut, als eine Art eingeübte Betroffenheit erfolgt? Die Verurteilung im Superlativ wird mit jeder Wiederholung unglaubwürdiger. Sie ist zweifellos ernst gemeint. Sie wirkt aber zunehmend hilflos.
Und sie ist ebenso leer und wirkungslos, wie die Erklärung, die Attentäter seien keine wahren Muslime. Ein solcher nachträglicher Ausschluss aus dem Islam bleibt hohl und nichtssagend. Er ändert nichts an der Tatsache, dass sich die Täter für die einzig wahren Muslime halten und ihre Taten ausdrücklich als islamische Taten verstanden wissen wollen.
Das ist die schmerzhafte Realität, der wir ins Auge sehen müssen. Es gibt junge Menschen, die fest davon überzeugt sind, dass sie mit ihren Morden im Grunde nur die aufrichtigsten, die entschlossensten, die ultimativsten Gottesdienste verrichten. Und sie glauben, dass sie dafür von Gott belohnt werden. Mit Distanzierungen ändern wir nichts an diesen Zuständen. Wir ändern nichts und niemanden, wenn wir die Taten und die Täter nur weit genug von uns wegschieben.
Im Gegenteil, wir müssen diese Täter und alle, die mit ihnen sympathisieren, die in ihren Taten etwas Machtvolles, etwas Vorbildhaftes erkennen, ganz nah an uns heranziehen und ihnen ganz deutlich ins Gesicht schreien, was Sache ist:
„Wenn Du glaubst, Mord sei Gottesdienst… wenn Du glaubst, mit Anschlägen Gottes Lohn zu erhalten… wenn Du hier in unseren Reihen sitzt und auch nur einen Funken Verständnis, Entschuldigung oder Anerkennung für Massenmörder empfindest, dann lass Dir gesagt sein, dass Du bereits jetzt vom Weg Gottes abgeirrt bist.
Du wirst für solche Taten niemals einen Lohn Gottes erhalten. Gott wird Dich nicht annehmen, er wird Dich nicht belohnen. Auf Dich wartet nicht das Paradies. Du wirst nicht mit unzähligen Jungfrauen belohnt. Du bist kein Held, kein Märtyrer, kein Krieger auf dem Weg Gottes. Wenn der Islam das ist, was wir täglich leben und glauben, kann Dein Weg Dich nur direkt und ohne Ausweg in die tiefsten Tiefen der Hölle führen.
All jene Opfer, die Du um ihr Leben gebracht hast, werden zusehen, wie Du für Deine Mordtaten zur Rechenschaft gezogen wirst. Du wirst am Tag des Gerichts keinen Fürsprecher finden. Wir alle, wir Muslime, werden nicht an Deiner Seite stehen. Wir werden an der Seite Deiner Opfer stehen und Dich gemeinsam mit ihnen anklagen.
In dem Moment, in dem Du auf Menschen herabblickst, nur weil sie anders sind als Du, in dem Moment, in dem Du Dich zum weltlichen Richter über ihr Leben aufschwingst, begehst Du die größte Sünde, die es im Islam gibt. Du maßt Dir an, gottgleich zu sein.
Wir beginnen unser Glaubensbekenntnis mit einer Verneinung. Wir beginnen die Schahada mit der Negationssilbe „La“, „Nein“! „La ilaha illa-llah!“ „Es gibt keinen Gott, außer Allah!“ Das ist kein Bekenntnis, mit dem wir andere Menschen abwerten, mit dem wir sie ausgrenzen, mit dem wir sie herabsetzen, nur weil sie nicht so glauben oder leben wie wir! Nein!
Das ist ein Bekenntnis zu dem einen und einzigen Gott, der uns alle in dieser Vielfalt erschaffen hat und sich an dieser Vielfalt erfreut. Und jene, die nicht glauben, tun dies, weil Gott es so will. Gott lässt glauben, wen er will und lässt nichtglauben, wen er will. Uns obliegt nicht ein Werturteil darüber, warum das so ist. Wir können nicht wissen, warum dies so ist. Gott verlangt von uns aber, dass wir seine Schöpfung in all dieser Vielfalt kennenlernen und uns damit ihm nähern.
Wer bist Du nun, der sich über diesen Ratschluss Gottes erhebt? Wer bist Du, dass ausgerechnet Du Dir anmaßt, diese Besonderheit in der Schöpfung Gottes abzulehnen? Wer bist Du, dass Du Dir anmaßt, Leben zu nehmen, das Du nicht erschaffen hast, das Du nicht erschaffen kannst?
In dem Moment, in dem Du Menschen umbringst, ja selbst in dem Moment, in der Sekunde, in der Du auch nur einen Augenblick Sympathie für solche Mordtaten empfindest, schwingst Du Dich auf zu einem Gott über Deinen Nächsten. Das ist eine Sünde, die Gott nicht verzeihen wird. Es ist die einzige Sünde, die Gott nicht verzeiht! (Sure 4, Vers 116)
Gottes Barmherzigkeit und Vergebung ist unendlich. Er kann einen Menschen, der ein ganzes Leben in Sünde verbracht hat, für eine einzige gute Tat, für einen einzigen Moment der aufrichtigen Rechtschaffenheit ins Paradies einkehren lassen. Und Gottes Urteil über den Menschen ist unermesslich. Er kann einem Menschen, der ein ganzes Leben in Tugend geführt hat, für eine Sünde, für einen Moment der ungerechten Niedertracht den Weg ins Paradies verwehren.
Also, wer bist ausgerechnet Du, dass Du Dir anmaßt, über das Leben, über die Frömmigkeit, über das Lebensrecht eines anderen Menschen zu urteilen? Wie kannst Du glauben, dass ein Mensch, ausgerechnet Du, sich anmaßen darf, eine letztgültige Macht über andere Menschen ausüben zu können? Wie kannst Du stärker, mächtiger als andere Menschen sein wollen, wo wir doch wissen, dass „La havle vela kuvvete illa billah!“, dass die Stärke und die Kraft allein bei Allah sind?
Du bist wütend? Du bist zornig? Du glaubst, Muslime werden ungerecht behandelt? Wer bist ausgerechnet Du, dass Du Dir anmaßt, den Anspruch zu erheben, ein Leben ohne Prüfung zu führen, obwohl Gott jede und jeden von uns erschaffen hat, um die Prüfung des Diesseits zu durchleben?
Es ist die Aufgabe von uns Muslimen, durch gute Taten, durch den rechtmäßigen und segensreichen Einsatz für Entrechtete, für Bedürftige, für die Gescheiterten und Zurückgelassene etwas an den Zuständen zu ändern, die wir beklagen. Wer bist Du, dass Du Dir anmaßt, Menschen bestrafen zu wollen, obwohl Gott der letzte Richter über die Frage der Strafe oder der Vergebung ist? Deine Aufgabe ist es nicht, zu bestrafen. Deine Aufgabe ist es, zu verbessern – Dein eigenes Leben, das Leben anderer Menschen und die Umstände, in denen wir alle leben.
Aber für die Anmaßung, sich zum Gott über das Leben des Nächsten zu erheben, wird Gott ein Feuer über Dir zusammenschlagen, welches Dir eine Pein bereiten wird, die unendlich viel größer sein wird, als das Leid, das Du über Deine Mitmenschen bringst.
Wenn Du Menschen umbringst, wenn Du auch nur einen Moment der Freude oder der Anerkennung empfindest angesichts von Anschlägen und Attentaten, dann lass jede Hoffnung auf das Paradies fahren. Wir, als muslimische Gemeinschaft, werden dafür beten, dass Du vor Gott die höchste Strafe für Deine Verbrechen erhältst.
Lass jede Hoffnung fahren, dass Du mit Deinen Taten die Anerkennung von Muslimen gewinnst. Du erntest nur unsere Verachtung. Es wird sich keine muslimische Trauergemeinde einfinden, die sich vor Deinem Sarg versammelt. Auf die Frage, ob die Gemeinde Dich von persönlicher Schuld freispricht, wird niemand mit „Ja“ antworten, niemand wird Dir Deine Schuld vergeben.
Niemand wird Dich bestatten, niemand wird den Koran rezitieren, wenn Du begraben wirst. Niemand wird sich wünschen, am Tag der Auferstehung mit Dir vereint zu werden. Am Tag des Gerichts wird jeder Muslim Zeugnis ablegen über Deine Sünde. Denn alle werden wissen, was Du getan hast und dass Gott Dir nicht vergeben wird.
Du kannst nur noch eine Entscheidung treffen: kehr um oder bleib für immer im Feuer, das Dich immer und immer wieder restlos verzehren wird – solange Du lebst und lange nachdem Du gestorben bist.“ (mk, ab, as, eg, ek)