Es ist überliefert, dass unser Prophet (s.a.s.) während einer Freitagspredigt zu seiner Gemeinde über die Tekbir, also den Ausruf „Allahu Akbar“ („Gott ist groß“), sprach und sie mit folgenden Worten ermahnte: „[…] Warum ruft ihr die Tekbir mit lauter Stimme? Ihr betet nicht zu einem Tauben oder einem Verirrten. Im Gegenteil: Ihr betet zu As-Semi, zu dem, der alles hört. Und zu Al-Basir, zu dem, der alles sieht. Der, zu dem ihr betet, ist euch näher als der Hals des Tieres, auf dem ihr reitet. […] Soll ich dich ein Wort aus den Schätzen des Paradieses lehren? Dieses Wort lautet „La havle vela kuvvete illa billah!“ (Die Stärke und die Kraft sind allein Gottes)
Der Islam ist eine Religion der Aufrichtigkeit, eine Religion der Feinheit und der Schönheit. Er ist nicht die Religion des groben Wortes oder der groben Tat. Selbst als die Gemeinde unseres Propheten (s.a.s.) in Mekka angefeindet wurde und den Islam nur unter großen Widrigkeiten ausüben konnte, hat sie nicht durch lautes Schreien oder ähnliche Aufdringlichkeiten versucht, andere Menschen einzuschüchtern.
Um ihren Zusammenhalt und ihre Entschlossenheit zu zeigen, haben die Männer der Gemeinde bei der Umrundung der Kaaba lediglich ihre rechte Schulter entblößt. Sie haben während der Pilgerreise die ersten drei von sieben Umrundungen der Kaaba in kräftigen und selbstbewussten Schritten absolviert, nur um sich anschließend wieder in Bescheidenheit und Rücksichtnahme zu üben. Wir erinnern an diese Haltung auch heute noch während unserer Pilgerreise, in dem auch wir bei den ersten drei Umrundungen der Kaaba unsere rechte Schulter entblößen.
Der Islam ist eine Religion der aufrichtigen Tat, nicht des lauten Imponiergehabes. Wenn heute insbesondere junge Leute sich angezogen fühlen von lauten Marktschreiern und jenen, die zum Zeichen vermeintlicher Stärke auf öffentlichen Plätzen das Gebet verrichten, seien sie nicht nur an die zitierten Worte des Propheten (s.a.s.) erinnert, sondern insbesondere an die Worte Gottes, der uns in der 107. Sure mit dem Titel „Maun“ ermahnt: „Hast du den gesehen, der das Gericht für Lüge erklärt? Das ist der, der die Waise zurückstößt und nicht zur Speisung des Bedürftigen anhält. Wehe den Betenden, die auf ihr Gebet nicht achtgeben, die nur gesehen werden wollen und die Hilfeleistung verwehren!“
Der Islam ist eine Religion der praktischen Aneignung, der gelebten Wohltätigkeit, der guten und gerechten Tat. Er ist nicht die Religion der oberflächlichen Pose oder der Selbstinszenierung. Wir beten nicht, um gesehen zu werden. Wir rufen den Namen Gottes nicht, um andere einzuschüchtern oder anderen zu imponieren. Unsere Gebete sind keine achtsamen und wohlgefälligen Gottesdienste, wenn wir mit unserem alltäglichen Handeln nicht dem Guten, dem Gerechten, dem Schönen, dem Mitgefühl, der Hilfeleistung, der Anteilnahme und damit Gott dienen.
Der Islam ist eine Religion der Achtung, der Wertschätzung und der Pietät. Gott beschreibt das in seiner Offenbarung in der Sure „Nur“, also das Licht, mit dem er uns den rechten Weg leuchtet. Dort in Vers 24, 30 heißt es: „Sprich zu den gläubigen Männern, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Scham bewahren. Das ist lauterer für sie. Gott hat Kenntnis von dem, was sie machen.“
Der Muslim ist jener, der in der Öffentlichkeit zurückhaltend und taktvoll ist – jener, der seine Blicke senkt. Nicht jener, der „Was guckst du?“ ruft.
Der Mensch ist in seiner Kraft und Macht begrenzt, fehlbar, irrend und stets dazu verleitet, seiner Eitelkeit zu erliegen. Der Islam ist deshalb die Religion, mit der Gott uns dazu anleitet, unsere Schwächen zu erkennen und sie zu überwinden – aber nicht durch Dominanz oder auf Kosten anderer, sondern durch Demut vor Gott, Rücksicht gegenüber unseren Nächsten und das stetige Einüben unserer menschlichen Tugenden. Denn die Stärke und Kraft sind allein Gottes. (mk)