„Und abermals wehe dir! und nochmals wehe! Wähnt der Mensch etwa, er solle ganz ungebunden bleiben?“ [75:35-36]
Für den französischen Existentialisten und Philosophen Jean-Paul Sartre war eines klar: Die wirkliche Einschränkung und Restriktion kommt von Gott her. Bis der Mensch, so Sartres anthropologische Überlegungen, diese letzte aller Fesseln nicht abgeworfen hat, bleibt er unfrei. Denn existierte ein Gott, so wäre die menschliche Existenz weitestgehend vorgegeben – zumindest Dankbarkeit, Hingabe oder Gehorsam wären unausweichliche Grundbedingungen des Lebens. Es würden auch Rückschlüsse über den Menschen folgen, so zum Beispiel, dass er ein Geschöpf ist, dass seine Natur eine Wesensbestimmung hat und anderes.
Die Quintessenz der französischen Freiheitsphilosophie von Sartre aber lautet: „Der Mensch ist nichts anderes, als wozu er sich macht“. Ja, damit ist tatsächlich die völlige Freiheit erreicht. Ein jeder muss sich selbst erfinden. Ein jeder muss auch darüber nachdenken, was es seiner Meinung nach bedeutet, ein Mensch zu sein. Das klingt ganz hübsch, verlockend und humanistisch, oder?
Aber diese verführerische und nur auf den ersten Blick mutige Freiheitsphilosophie bedeutet das Unglück des Menschen. Denn dann weiß der Mensch nicht, warum er ist; geschweige denn, wofür er ist und was er mit sich selbst tun soll. In den Ozean eines großen Nichts hineingeworfen schreitet er für ein paar Jahrzehnte verdunkelt durch eine feindliche oder gleichgültige Welt. Mit dieser fehlenden Ahnung und neugewonnen Freiheit von Gott erwirbt sich der Mensch sartrescher Färbung auch die Freiheit von Sinn, beziehungsweise die Sinnlosigkeit. Man tausche die metaphysische Perspektive gegen die zeitgenössische und schaue ganz genau hin, was sie bedeutet: Die Welt – ein Chaos von Begebenheiten ohne allen Nutzen und Plan. Der Mensch – ein Tier unter Tieren. Das sich durch den Lauf seiner Biographie abstrampelt und wo doch keine Ruhe einkehrt. Des Menschen Lachen, Sorgen, Lieben, seine Ängste, Gedanken, Pläne und Wünsche, die Momente des Glücks sowie des Schmerzes, der Aufregung und Langweile, der Erfüllung und der Trauer, also kurz unser gesamter kurzer Erdenlauf – all das wird nichtig, bald unwiderruflich verschwunden sein, verweht wie ein kurzer Windhauch. Ferner bliebe das alles ohne Bedeutung. Zum Bedauern hat dieses freiheitliche Postulat und all seine Konsequenzen im post-christlichen Deutschland in den herkömmlichen Meinungen und Anschauungen unserer Mitmenschen viel Platz gewonnen. Welch ein elendes Ding ist der Mensch, sagte Montaigne, wenn er sich nicht durch himmlische Mittel aufrichten lässt.
Als Muslime müssen wir versuchen, unsere Schau der kosmischen Partitur zu verfeinern, so dass wir begreifen, dass wir weder aus dem Ganzen herausfallen können, noch dass es sinnlos ist. Selbst dann nicht, wenn unsere urbane Verlorenheit im durchhetzten Alltag uns manches Mal das Gegenteil befürchten lässt. Unsere Weltwahrnehmung muss qualitativ unterschieden sein von der Sartres. Ähnliches gilt für unsere anthropologischen Vorstellungen.
Sprechen wir über den Menschen im Allgemeinen, so sollten wir auf den Gesandten schauen. Sein prophetisches Lächeln, auf ihm seien herzliche Grüße, lehrt uns Menschen des Glaubens, des Segnens, des Gebetes und des Vertrauens Gott gegenüber zu sein. Sein Weg ist ein Fluss, der in Gott mündet und uns beschützt vor eigenen, selbst versunkenen Bahnen. Hier dürfen wir das Knien vor dem Höchsten lernen, die Schönheit des Offenbarungsworts erkunden und einfältig Gewissheit lernen.
Die Offenbarung versichert uns auch den Sieg über die Vergänglichkeit. Wir bekommen die Zusage, dass nichts vergeblich war. Kein Zähneknirschen, kein Lachen, das umsonst war. Und dass dereinst alle Tränen im Garten getrocknet werden. All diese kurzen Andeutungen sind Treppen zum Leben, in denen nicht der Tod und die Sinnlosigkeit das letzte Wort haben. Im Vertrauen darauf, dürfen wir uns der hohen Allmacht ergeben, die uns durch alles Kommende führen wird, in der Hoffnung, dass wir sicher über die Mauern klettern können und nicht stürzen und fallen müssen. (ts)