Es sind Sommerferien. Als Familie freut man sich auf die gemeinsame Zeit. Endlich kann man zusammen Urlaub machen, sich von den Pflichten des Alltags befreien und die Seele baumeln lassen. Das klingt für die meisten von uns nach einem Werbeslogan für eine Reiseagentur. Denn in der Realität sind die meisten Eltern in den Ferien mit der Gestaltung des Alltags besonders herausgefordert. Viele Familien können sich einen All Inclusive Urlaub irgendwo am Strand wie in der Werbung nicht leisten und müssen ihre Ferien zu Hause verbringen. Der Stress scheint vorprogrammiert zu sein, wenn alle Familienmitglieder plötzlich so viel Zeit miteinander verbringen. Väter werden zum Streitschlichter ihrer Kinder und bei den Müttern liegen die Nerven blank, weil sie merken, dass sie gar keine Chance gegen die herrschende Unordnung haben.
In unserer medial geprägten Gesellschaft flüchten sowohl die Eltern als auch die Kinder in die digitale Welt, um dort ihre „Ruhe“ zu finden. In Deutschland benutzen fast 60 Millionen Menschen ein Smartphone. Studien belegen, dass wir ca. 150 Mal auf unser mobiles Telefon schauen. Im Durchschnitt nutzt jeder sein Smartphone ca. 2,5 Stunden pro Tag, Jugendliche sogar 4,5 Stunden täglich. Hinzu kommen Videospiele, die meistens von den Jungen konsumiert werden. Man trifft seine Freunde fast nur noch online. Bei diesen Spielen geht es heftig zu, Mitspieler werden beschimpft und angeschrien.
Uns ist allen bewusst, dass diese Entwicklung für uns nicht gut ist. Es widerspricht unserer menschlichen Natur, soziale Kontakte zu unseren Mitmenschen zu vermeiden, weil wir das als „anstrengend“ empfinden. Das Jammern „Früher war alles besser“ ist eigentlich ein Hilferuf, den wir ernst nehmen sollten. Als gläubiger Mensch sollten wir uns über unser Dasein immer wieder Gedanken machen und die Herausforderungen des Lebens auch als Eltern annehmen. Vor allem sollten wir uns in Dankbarkeit üben. Man muss die Ferien nicht in einem teuren Hotel verbringen, um Spaß zu haben, und nicht allzu weit reisen, um sich zu erholen. Wir sollten unseren Kindern beibringen, dass man auch im örtlichen Schwimmbad Spaß haben kann, wenn man Freundschaft wertschätzt und dankbar ist. Denn es ist der liebevolle und respektvolle Umgang mit unseren Mitmenschen, die uns Freude bereitet. Sicherlich gehört auch das Streiten zum sozialen Leben dazu. Menschen, die miteinander streiten können, pflegen ihre Beziehungen länger. Als Eltern müssen wir unseren Kindern den Umgang mit unseren Liebsten, dazu gehört auch eine Streitkultur, vorleben. Anstatt ihnen nur zu erzählen, dass man eine bessere Kindheit hatte, kann man sich einen Fußball nehmen und den Kids zeigen, wie man mit dem Ball kickt. Es ist nicht einfach, Eltern von Kindern zu sein, die es gewohnt sind, ihren Aufmerksamkeitswunsch mit Smartphones sofort zu stillen, gerecht zu werden, da wir keine Maschinen sondern Menschen sind und genauso Ruhe, Aufmerksamkeit und Freizeit benötigen. Das fünfmalige Gebet am Tag ermöglicht uns Eltern diesen Rückzug. Damit leben wir unseren Kindern nicht nur Spiritualität, sondern auch den Respekt vor sich Selbst vor. Wir zeigen auch, dass der muslimische Tagesablauf Struktur hat und jeder einzelne Mensch vor dem Schöpfer einfach nur Mensch sein darf und sich von den sozialen Rollen befreien kann, zugleich Ruhe und Aufmerksamkeit bekommt, ohne in eine digitale Welt flüchten zu müssen. Gemeinsame Familienbesuche, die in der muslimischen Tradition verbreitet sind, können Kindern zeigen, wie man Freundschaften pflegt.
Muslimische Eltern sollten sich von der Erziehungsmethode des Propheten motivieren lassen, die von Geduld und Sanftmut geprägt war. In einem Hadith heißt es: „Das Beste, was ihr euren Kindern hinterlassen könnt, ist gute Erziehung.“ Wir müssen nicht perfekt funktionierende Eltern sein, aber wir sollten uns bewusst machen, dass Allah uns unsere Kinder nicht geschenkt hat, nur um ihre materiellen Bedürfnisse zu decken, sondern damit wir sie lieben und ihre Seelen berühren, indem wir sie nicht vernachlässigen und geduldig mit ihnen sind. Mein Respekt gilt all den Eltern, die dies versuchen, auch wenn das nicht immer so einfach ist. Ich möchte euch ein Gedicht von Rainer Maria Rilke schenken:
Über die Geduld
Man muss den Dingen
die eigene, stille,
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt,
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann;
alles ist austragen –
und dann Gebären…
Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen
des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind,
als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos still und weit …
(sbk)