Fast eineinhalb Jahre sind seit dem Einzug des Propheten in Medina vergangen. Viele der unterdrückten Muslime aus Mekka haben Zuflucht in der Stadt Jasrib gefunden, als einer der letzten von ihnen kam der Prophet. Sie trafen auf aufopferungsbereite Menschen in dieser Stadt, die später zu Ehren des Propheten Muhammed (Allahs Friede sei mit ihm) nur noch “die Stadt”, Medina, genannt werden sollte. Siebzehn Monate ist er schon in der Stadt und betet mit den Muslimen Richtung, nein, nicht Mekka, noch richtet sich das Gebet Richtung Jerusalem.
Noch gibt es keine Erlaubnis, in Richtung Mekka zu beten, auch wenn der Prophet inbrünstig darauf hofft. Bis sich diese Hoffnung endlich in diesem Monat erfüllt.
“Wohl sehen wir, wie du dein Angesicht gen Himmel hin- und herbewegst.
So wollen wir dir eine Richtung geben, die dein Gefallen findet.
So wende nun dein Angesicht zur unverletzlichen Moschee (Kaaba).
Wo immer ihr auch seid, kehrt euer Angesicht ihr zu!
Siehe, denen das Buch gegeben wurde, die wissen wahrlich,
dass es die Wahrheit ist von ihrem Herrn.
Allah lässt, was sie tun, nicht unbeachtet.” (2:144)
Den Propheten und die Gefährten freut diese Veränderung. Die Kaaba ist das Gotteshaus, das der Stammvater und Prophet Abraham (as) mit seinem Sohn errichtet hat. Doch einige machen sich über diese Änderung und über die Muslime lustig, mit ganz unterschiedlichen Motiven. Sie lästern über die Änderung der Gebetsrichtung, interpretieren allerlei Absichten hinein und bezweifeln die Ernsthaftigkeit und Frömmigkeit der Muslime.
Ein Vers wird darauf offenbart, so kompakt und dicht, dass er all diese Schmähungen vergessen lässt. Ganz allein könnte er schon die Richtschnur für ein rechtschaffenes Leben sein. Schon längst spricht er nicht mehr zu den Lästerern von damals, die Herzen der Gläubigen sind es, die bei diesen Worten erbeben.
“Die Frömmigkeit/Rechtschaffenheit besteht nicht darin,
dass ihr euer Angesicht gen Osten oder Westen wendet,
vielmehr ist Frömmigkeit/Rechtschaffenheit,
an Allah zu glauben und an den Jüngsten Tag
und an die Engel, an die Offenbarungen und die Propheten;
und das Geld, auch wenn man es liebt,
für die Verwandten, die Waisen und die Armen auszugeben
und für die Reisenden und die Bittenden und für den Gefangenen;
und das Gebet zu verrichten und die Armensteuer zu entrichten.
Die den Vertrag einhalten, wenn sie ihn abgeschlossen haben,
und die standhaft sind in Not und Missgeschick und Kriegszeit –
die sind es, die aufrichtig sind,
die sind es, die gottesfürchtig sind.” (2:177)
Nicht am Äußerlichen soll man sich festhalten. Es ist nicht die Richtung des Gebets, die von Bedeutung ist; denn die kann sich ändern, wie es Allah hier gerade gezeigt hat. Nicht Jerusalem wird angebetet, auch nicht Mekka oder die Kaaba, nicht ihr Boden ist es, der heilig ist, noch der Staub, der durch ihre Straßen weht. In Seiner Richtungsweisung liegt die Heiligkeit. Nicht die Richtung, in das sich das Gesicht wendet zählt, sondern in welchem Zustand sich der Mensch befindet – der meint, sich hinzuwenden.
Der Glaube an den Einen, der Glaube daran, dass jeder von uns am Tage des Jüngsten Gericht vor Ihm stehen wird, der Glaube an die Engel, mit denen Seine Offenbarungen den Propheten überbracht worden sind, diesen Glauben zu verinnerlichen zählt und nicht das inhaltsleere Verrichten von Ritualen.
Genauso wichtig wie das Glauben ist aber auch die Manifestation des Glaubens im Leben des Gläubigen. Bemerkenswert – die Hilfe für die Bedürftigen, gerade mit dem Geld, dass man so lieb gewonnen hat, kommt noch vor dem rituellen Gebet . Die Fürsorge für den Anderen, die Sorge um den Mitmenschen steht vor der Sorge um das eigene Herz.
Die Standhaftigkeit in schwierigen Zeiten wird als eine Voraussetzung für Aufrichtigkeit und Gottesfürchtigkeit benannt. Aber auch vor dieser Standhaftigkeit im eigenen Leid kommt wieder erst der andere Mensch. Das gehaltene Wort gegenüber seinem Mitmenschen – nicht nur gegenüber dem Glaubensbruder oder der Glaubensschwester, nicht nur gegenüber demjenigen, der zu “uns” gehört, einer von uns ist, bestimmt über unsere Aufrichtigkeit und Gottesfürchtigkeit. Der Vers unterscheidet nicht wie wir nach Nähe oder Distanz, nach Sympathie oder Ablehnung. Das Wort ist zu halten, der geschlossene Vertrag zu erfüllen, der Mensch ist zu ehren. Gottesfurcht gibt es nur in Verbindung mit der Achtung seiner Schöpfung. Wer das Werk nicht ehrt, ist des Meisters auch nicht würdig. (ek)