Zu Fragen bedeutet, Hoffnung zu haben

In der Sure Bakara wird die Schöpfung Adams in einem Dialog zwischen Gott und den Engeln aufgegriffen:

“Damals, als dein Herr zu den Engeln sprach: “Siehe, einen Sachwalter will ich einsetzen auf der Erde!” Da sprachen sie: “Willst du jemanden auf ihr einsetzen, der Unheil auf ihr anrichtet und Blut vergießt – wo wir dir Lobpreis singen und dich heiligen?” Er sprach: “Siehe, ich weiß, was ihr nicht wisst.”” (2:30)

In weiteren Versen wird die Geschichte der Schöpfung Adams (as) weitererzählt, sein Straucheln, aber auch die Reue und Vergebung, die ihm zuteil wurde. Wir wollen aber bei diesem Vers bleiben. In Erläuterungen wird gerne der Begriff Sachwalter näher betrachtet –  die Frage, welche Rolle dem Mensch daraus zukommt. Oder die Zuschreibung der Engel für den Menschen als Unheilstifter und Blutvergießer wird aufgegriffen. Ein Aspekt dieses Verses fällt uns jedoch selten auf: Die fragenden, ja sogar hinterfragenden Engel.

Tatsächlich hinterfragen hier die Engel Gottes Entscheidung, den Menschen als Sachwalter auf der Erde einzusetzen. Und sie werden für dieses Hinterfragen nicht gemaßregelt. Nein, Allah teala antwortet ihnen, Er zeigt ihnen, dass seine Entscheidung richtig war, Er überzeugt sie von dieser Entscheidung. Das Hinterfragen wird nicht als Infragestellung aufgefasst, vielmehr kümmert sich Allah teala um die Sorgen dieser Engel, wie er sich letztendlich mit einer langen Offenbarungskette und seinen Propheten um unsere Fragen und Sorgen als Menschen gekümmert hat.

Sowohl das Hinterfragen der Engel, als auch das Eingehen Gottes darauf kann den einen oder anderen von uns überraschen. Nicht selten begegnen wir der Haltung, dass das Fragen in religiösen Dingen als verpönt angesehen wird, erst recht das Hinterfragen. Die Beschäftigung mit dem Religiösen, das Aufstellen von theologischen Fragestellungen wird selbst heute von manchen Kreisen entweder abgelehnt oder nur in die Hand einer ausgewählten Gruppe von Gelehrten gelegt. Das Bedürfnis, sich Gedanken über den Glauben zu machen, gilt ihnen als “Vesvese”, als satanische Einflüsterung.

Eine ganz andere Haltung finden wir jedoch in der islamischen Wissenstradition, zum Beispiel bei dem unter den Anhängern der hanefitischen Rechtsschule als “Imam in der Glaubenslehre” hoch angesehenen Imam Maturidi. Für ihn ist gerade das Abhalten vom Denken eine satanische Einflüsterung:

“Und der Mensch weiß, das Empfinden nicht Denken zu dürfen, kann nichts anderes als die Einflüsterung des Satans sein. So eine Haltung kann nur sein Werk sein, mit dem er bezweckt, den Einzelnen von der Ernte der Früchte seines Denkens abzuhalten, davon seine Möglichkeiten zu entfalten und diese göttliche Gabe zu nutzen, um seine Sehnsüchte zu erfüllen.”  (Kitab Al Tawhid – S. 172)

Imam Maturidi geht hinsichtlich des Einsatzes des Verstandes noch viel weiter. Nach ihm, kann der Mensch eigentlich nicht anders, als seinen Verstand einzusetzen:

“Der Verstand (aql) hat die Neigung, sich gegen seine Vernachlässigung zu wehren” (aaO, S. 129), stellt er fest.

In unserem Umfeld begegnen wir sehr vielen Fragen und Anfragen im Allgemeinen an den Islam und im Konkreten an die Muslime. Gerade jetzt im Ramadan wird die Intensität dieser Fragen sogar größer. Der Islam erscheint noch immer vielen unsere Mitmenschen fremd. Oftmals liegt es an uns “einfachen” Muslimen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.

Dabei bringt die “neue” Zeit, der “neue” Ort und unsere Situation als Minderheit auch für uns selbst ganz neue Fragen an die Religion hervor. Vieles was in den Herkunftsländern der meisten Muslime in Deutschland selbstverständlich war, ist es hier nicht mehr. Während dort bei der religiösen Erziehung auf ein weitgehend homogenes soziales Umfeld vertraut werden konnte, leben wir hier in einem viel heterogeneren, viel spannenderen Umfeld zusammen.

In vielen Bereichen kann uns die islamische Gelehrsamkeit aus den Herkunftsländern keine Antworten mehr bieten. Die Antworten müssen in dem Umfeld entstehen, aus dem auch die Fragen kommen. Mag sein, dass wir hierzulande noch nicht wirklich in der Lage sind, Antworten zu formulieren. Aber wir können die richtigen Fragen stellen. Und vor diesen Fragen, vor diesem Hinterfragen brauchen wir uns nicht zu fürchten. Hätten die Engel nicht die Sachwalterschaft des Menschen hinterfragt, wir hätten die Erklärung dafür wohl nicht erhalten. Die richtigen Fragen zu finden, bedeutet Hoffnung zu haben, bedeutet der Neigung und dem Schöpfungssinn seines Verstandes nachzukommen. Nur wenn wir fragen, wird uns Allah teala auch die Antworten ermöglichen. (ek)