Wir Muslime in Deutschland thematisieren in regelmäßigen Abständen die mangelnde gesellschaftliche und politische Anerkennung in diesem Land, in dem viele von uns geboren und aufgewachsen sind. Unsere öffentlichen Äußerungen sind oft davon geprägt, diese mangelnde Anerkennung zu benennen und einzufordern. Das hat natürlich auch seine Berechtigung, denn gerade in diesen Zeiten, in denen populistische Strömungen Aufwind haben, sind Forderungen nach Einschränkungen der muslimischen Lebensweise sehr beliebt.
Eine Auseinandersetzung mit diesem Thema ist unabdingbar und muss geführt werden. Aber ein viel zu selten angesprochenes Thema ist die Anerkennung unter uns Muslimen selbst. Wir beschwören und fordern immer wieder die Einheit unter uns Muslimen, unterstreichen bei jeder Gelegenheit die Brüderlichkeit bis hin zum – manchmal – inflationären Gebrauch des Wortes „Akhi“ oder „Bruder“ bzw. „Schwester“.
So edel die Absichten auch sein mögen: Man stärkt nicht die Einheit, in dem man diese immer nur fordert. Und man stärkt nicht die Geschwisterlichkeit, in dem man sich demonstrativ mit Bruder oder Schwester anspricht. Einheit und Brüderlichkeit sind nicht nur Floskeln oder leere Worthülsen, sondern sie zeigen sich in Aktion und im konkreten Handeln. Man stärkt die Gemeinschaft als Muslime, in dem man sich gegenseitig Respekt zollt und anerkennt. Anerkennung ist nicht nur ein Thema, wenn es um gesellschaftliche Anerkennung geht. Anerkennung ist zuallererst ein Thema unter uns Muslimen. Mangelnde Akzeptanz und Anerkennung unter uns Muslimen ist der Hauptgrund für unsere Lethargie, mehr als die mangelnde politische oder gesellschaftliche Anerkennung.
Aber woher kommt dieser Mangel? Dieser Mangel kommt in erster Linie von der Haltung, dass ich nur jenen Muslimen nahe stehe, die so denken wie ich, meiner Nationalität angehören oder im selben Verband oder Verein sind. Islam ist aber nicht die Zugehörigkeit zu einer Nation, einer Organisation oder gar einer Ideologie. Islam ist eine Richtung des Herzens, eine ganzheitliche Haltung zum Leben, zur Schöpfung.
Das ständige Klagen über eine mangelhafte gesellschaftliche Anerkennung und die Fokussierung darauf hat zur Konsequenz, dass andere, uns Muslime betreffende Grundsatzfragen in den Hintergrund geraten. Die Frage nach einer gelebten Einheit jenseits von Parolen und Strukturen, die Frage nach Brüderlichkeit jenseits von Worthülsen ist eine zutiefst spirituelle Frage.
Ist die mangelnde Anerkennung von Außen vielleicht auch ein Resultat beziehungsweise eine Spiegelung einer mangelnden Anerkennung unter uns Muslimen selbst? Wir kennen dies doch alle, und da schließe ich mich natürlich auch mit ein: Man denkt, man sei etwas besseres, urteilt schnell aus einem Affekt heraus über Muslime, die bei bestimmten Themen vielleicht eine andere Meinung oder Haltung haben, oder sogar weil sie lediglich einer anderen Nationalität angehören oder einer anderen Herkunft sind.
Dies schließt auch das Phänomen mit ein, dass man gerade in dieser aufgebrachten Atmosphäre zwar von Brüderlichkeit pausenlos redet, aber sich sehr genau überlegt, mit welchem Muslim man sich solidarisch zeigt und mit welchem bewusst nicht. Die fehlende Anerkennung in der Gesellschaft, die wir immer beklagen, spiegelt sich in der mangelnden Anerkennung unter uns Muslimen. Dabei galt und gilt weiterhin: „Allah ändert nicht den Zustand eines Volkes, bis sie das ändern, was in ihnen selbst ist.“ (Sure 13, Vers 11) (eg)